„In Deutschland geht es uns doch gut!“ – Hörerinterview mit Garvin

In dieser Podcast-Episode habe ich meinen Hörer Garvin zu Gast. Er lebt und arbeitet in Peking und hört auf demWeg zur Arbeit beide Podcasts. Wir sprechen im Interview über China, den Vergleich mit Deutschland, Geldanlage und noch eine ganze Menge mehr.

Überblick „In Deutschland geht es uns doch gut“

Die 75 Minuten Interview sind sehr abwechslungsreich geworden. Eine ausführliche Zusammenfassung findest Du weiter unten im Interview.

Shownotes

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Zusammenfassung des Interviews

Über Garvin:

  • Garvin ist Mitte 30, lebt seit fast sechs Jahren in China, und hat dort Frau und Sohn. Er arbeitet für eine chinesische Firma und hört seit drei Jahren Finanzpodcasts.

Du hast mir im Vorfeld vom sogenannten „Social Scoring“ in China erzählt. Was hat es damit auf sich?

  • Das ist ein düsteres Thema. Scoring kennen wir aus Deutschland, die Schufa bewertet uns ja auch nach gewissen Faktoren. Hier in China könnte man das Scoring als Schufa 5.0 bezeichnen. Da werden die Daten aus verschiedenen Quellen zusammengeführt. Ganz klassisch geht es um die Kreditwürdigkeit, es kommt aber auch das Strafregister dazu, das politische Verhalten, das Einkaufsverhalten, all das wird zusammengenommen und daraus wird ein Scorewert erstellt. 2020 soll das eingeführt werden, es gibt bereits Pilotprojekte.

Wie hat es dich nach China verschlagen?

  • Ich bin immer schon gerne gereist. Ich habe in meiner Jugend drei Jahre in Argentinien gelebt, habe dann in Deutschland studiert, aber mein erster Job war auch gleich wieder im Außendienst. Ich wollte noch mehr von der Welt sehen und Asien kannte ich noch gar nicht. Ich wurde dann von einem ehemaligen Kollegen abgeworben, habe ohne viel Überlegen alle Zelte abgebrochen und bin nach China gegangen.

Was sind denn die größten Unterschiede im Alltag, verglichen mit dem Leben in Deutschland?

  • Da gibt es viele. Internetzensur, das ist natürlich sehr nervig. Die Luftverschmutzung ist schon Thema, grade in den Großstädten. Man schaut immer nach dem Air Quality Index, die schlechte Luft schränkt einen in den Freizeitaktivitäten ein. Aber es gibt auch Tage mit blauem Himmel. Weitere Unterschiede gibt es auch beim Verkehr, der ist hier „flexibler“ als in Deutschland. Es gibt zwar Verkehrsregeln, aber die Leute halten sich nicht dran.
  • Ansonsten ist hier alles viel viel größer, alles in XXL, viele Menschen, viele Gebäude, viele Geschäfte. Die Ruhe fehlt manchmal, aber damit kann man sich auch arrangieren. Die deutsche Strukturiertheit und die Rechtssicherheit fehlen mir hier auch manchmal. Vieles ist übrigens echt teuer hier. Wenn ich in China einen westlichen Standard verfolgen würde, bei Wohnung, Essen, Lebensmitteln, dann würde mich das hier bedeutend teurer kommen als in Deutschland.

Sprichst du mittlerweile Chinesisch?

  • Sagen wir mal, ich kann mich verständigen. Im Geschäftsleben komme ich mit Englisch weiter, das ist kein Problem. Im Privatleben kommt man mit Englisch eigentlich gar nicht weiter.

Wie bist du auf den Finanzrocker-Podcast aufmerksam geworden?

  • Man möchte ja immer noch ein bisschen seine Verbundenheit nach Deutschland haben, und chinesisches Radio interessiert mich auch nicht wirklich. Ich habe eine recht große Podcast-Bibliothek, die sich aus Finanz-Podcast, Tech-Podcasts und Nachrichtenpodcasts zusammensetzt.
  • Ich beschäftige mit seit ca. 3 Jahren mit dem Thema Finanzen und bin über diverse Blogs dann zuerst zu „Der Finanzwesir rockt“ gekommen. Ich hab dann auch mal auf deine Seite geschaut und bei dir reingehört und bin dem bis heute treu geblieben.

Wie legst du selber an?

  • Nicht in China. Da kommt auch wieder das Thema Rechtssicherheit ins Spiel. Ich möchte nicht zu viele Renminbi haben, das meiste Geld geht in Euro nach Deutschland. Zu meiner Zeit in Deutschland habe ich die klassischen Finanzprodukte abgeschlossen wie eine private Rentenversicherung, einen Bausparvertrag, eine Anleihe von einem Fußballverein. Die Zinsen wurden immer schlechter und ich habe mir ausgerechnet, was von der Rentenversicherung überhaupt übrig bleibt – das war nicht so attraktiv.
  • Mein Bankberater hat mir nur aktiv gemanagte Fonds angeboten. Also habe ich mich mit dem Thema beschäftigt und die ETFs gefunden. Ich habe den Kommer gelesen, die Podcasts gehört, die Blogs gelesen, und dann mein eigenes ETF-Portfolio zusammengestellt, in das ich bis heute investiere und das den Großteil meines Anlagevermögens ausmacht.
  • Ich spiele auch schon länger mit dem Gedanken, mich mit Einzelaktien auseinanderzusetzen, aber mir fehlt momentan einfach die Zeit. Ich hatte mal einen Bitcoin, damals war der 300 Euro wert, den habe ich aber schon ausgegeben und das ist mir auch zu spekulativ.
  • Ich habe auch ein paar P2P-Kredite bei Bondora*. Das beobachte ich aber erstmal. Ich sehe einige Ausfälle, aber die guten Kredite überwiegen bei weitem.

Wie legt man denn generell in China an? Oder spart man eher für die Familie?

  • Es gab vor einigen Jahren einen regelrechten Aktienboom. Da haben manche Leute sogar Kredite aufgenommen und das Geld in Aktien angelegt, und auf einmal gingen die Kurse dann um 30% runter. Da haben sehr viele Leute viel Geld verloren.
  • Generell spart man mehr für die Familie. Die Kinder sind eigentlich das Investment in die Zukunft, da wird von Anfang an auf vernünftige Ausbildung geachtet, damit das Kind später für sich und auch für die Eltern sorgen kann. In vielen Fällen ist es dann so, dass die Großeltern später zu ihren Kindern ziehen und sich um die Enkelkinder kümmern.

Ein riesengroßes Thema ist das digitale Bezahlen in China. Auf der INVEST hat mir mein Hörer Norbert ein Foto seiner China-Reise gezeigt, wo aus einem Auto heraus Hühner verkauft wurden. Bezahlt werden konnte ausschließlich digital via QR-Code. Ist das wirklich so?

  • Absolut. Hier läuft fast alles über online bezahlen und sehr wenig über Barzahlung.

Wie kann ich mir das vorstellen?

  • Es gibt mehrere Anbieter. Wir haben WeChat, AliPay oder ApplePay. WeChat ist ein Pendant zu WhatsApp, das benutzen die meisten. Das läuft über QR-Codes. Wenn ich in ein Geschäft gehe, hängt da ein QR-Code, den scanne ich ab, gebe den Betrag ein, drücke auf „Bezahlen“, dann gibt es Face-ID und dann wird das von meinem Guthaben auf das Konto des Anderen übertragen.
  • Eine weitere Möglichkeit ist, dass ich selber einen QR-Code generiere und das Gegenüber meinen Code abscannt. Das ist so einfach und komfortabel, dass es fast jeder macht. Man braucht nur eine EC-Karte, die mit dem WeChat-Konto verbunden ist. Ich bin auch überzeugt, dass die Leute das in Deutschland auch nutzen würden, wenn WhatsApp so eine Funktion einführen würde.

Wie behält man bei diesem System den Überblick über die ganzen Zahlungen, die man tätigt?

  • Das ist gar nicht so einfach, weil alles über mein chinesisches Konto läuft. Da sind wir in Deutschland schon sehr verwöhnt, was so Bankmanagement usw. angeht. Ich benutze StarMoney und bin kläglich gescheitert bei dem Versuch, mein chinesisches Konto da reinzubringen, weil die Schnittstellen alle nur deutsche Schnittstellen sind und nichts anderes unterstützt wird.
  • Mein chinesisches Konto gibt es zwar zum Glück auch auf Englisch, aber man sieht teilweise nicht mal einen Verwendungszweck, das ist alles sehr unübersichtlich. Wenn ich mit WeChat zahle, mache ich meist noch einen englischen Kommentar dazu, z.B. „Food“ wenn ich Essen bezahle. Aber so richtig habe ich den Überblick nicht.

Wie machst du das mit deinen Anlagen?

  • Die kontrolliere ich über Excel. Ich benutze zwar auch Portfolio Performance, das ist ein wirklich gutes Programm. Aber den Gesamtüberblick habe ich in Excel. Da habe ich meine Ausgaben und Einnahmen drin, und ich habe virtuelle Konten für Urlaube oder Rückstellungen für Versicherungen etc. und rechne das dann hoch.

Du arbeitest ja als Führungskraft für ein Industrieunternehmen in China.  Immer wieder hört man, dass die Zusammenarbeit nicht immer so einfach ist. Wie ist das für Dich?

  • Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut, ist aber ganz anders als wir das aus Deutschland kennen. Die Leute identifizieren sich weniger mit den Firmen, wo man in Deutschland oft stolz darauf ist, bei einem Unternehmen zu sein. Wenn es hier ein gutes Gehalt woanders gibt oder die Firma nicht die Karriere bietet, die man erwartet, dann geht man halt woanders hin.
  • Auch offene Kommunikation ist schwierig. Den chinesischen Kollegen ist es oft unangenehm, über Probleme zu sprechen, sie finden lieber irgendwelche Wege drumherum. Der gefürchtete Gesichtsverlust ist nach wie vor ein großes Thema. Man muss lernen, damit umzugehen, dass man sich manchmal nicht versteht. Vieles geht hier über Empathie.
  • Generell gibt es hier sehr gute Mitarbeiter, die aber natürlich auch ihren Preis haben. Der Arbeitsmarkt ist teilweise ziemlich schwierig.
  • Die Arbeitsbedingungen sind sehr unterschiedlich. Es kann sein, dass die Urlaubstage bei 5 Tagen pro Jahr anfangen. Bei unsrer Firma können die Leute bis maximal 20 Tage Urlaub nehmen. Wenn man krank wird, gibt es sogenannte „Sick Leave“ Tage und wenn die aufgebraucht sind, wird das Gehalt gekürzt. Die Leute nehmen dann teilweise Urlaub wenn sie krank sind, damit das nicht passiert.

Im Vorgespräch hast Du mir von einem Besuch im Krankenhaus erzählt. Auch hier sind viele Unterschiede zu Deutschland. Wie sehen diese aus?

  • Zum Gesundheitssystem: Wenn ich genug Geld auf den Tisch lege, kann ich auch eine Topbehandlung bekommen, womöglich sogar besser als in Deutschland. Es gibt hier in Peking internationale Krankenhäuser, da zahle ich aber für ein einfaches Beratungsgespräch schon zehnmal soviel wie in Deutschland, da sind 150 Euro weg ohne dass überhaupt was gemacht wurde.
  • Für die normale Belegschaft gibt es auch ein Sozialsystem. Wir als Arbeitgeber zahlen auch in gewisse Sozialkassen ein. Es gibt Rentenversicherung, Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung, da zahlt der Arbeitgeber hier sogar mehr als der Arbeitnehmer. Selbst für mich wird in die Rentenkasse eingezahlt, was bedeutet dass ich mal eine chinesische Rente beziehen könnte, auch wenn ich dann schon wieder in Deutschland lebe.
  • Aber es hat alles nicht den Standard wie in Deutschland. Von der Krankenkasse werden z.B. nur 80% bezahlt oder die Kosten nur bis zu gewissen Summen übernommen. Wenn man da mal über den Tellerrand schaut, wie es in anderen Ländern aussieht, da merkt man, dass es uns in Deutschland schon wirklich verdammt gut geht.

Wie sieht denn Deine Zukunftsplanung aus? Möchtest Du in China bleiben oder verschlägt es Dich irgendwann wieder nach Deutschland?

  • Irgendwann wird es mich schon wieder nach Deutschland verschlagen. Es ist einfach doch ein sehr anderes Leben hier. Ich möchte natürlich auch gerne, dass mein Kind was von Deutschland mitbekommt. Der geht zwar hier auf eine deutsche Schule, aber in Deutschland leben ist natürlich was anderes. Wann das sein wird, ist aber völlig unklar für mich. Und ob ich dann in Deutschland bleiben werde, ebenso.

Wordshuffle:

Heimat – Für mich ist Deutschland immer noch meine Heimat. China ist mein Zuhause, aber meine Wurzeln sind in Deutschland.

Chinese New Year – Sehr aufregend. 1,3 Milliarden Chinesen sind unterwegs und bereisen das Land. Volle Züge, volle Flugzeuge, einfach der Wahnsinn.

Rockmusik – Kann ich jetzt weniger mit anfangen, muss ich ganz ehrlich gestehen. Ich höre sehr gerne Musik, aber habe da keine speziellen Vorlieben.

Argentinien – Tolles Land. Buenos Aires, da habe ich drei Jahre lang gewohnt, beste Zeit meines Lebens bis dato. Das Land und die Leute sind toll. Ich war leider lange nicht mehr da.

Digitalisierung – Finde ich sehr gut. Ich bin ja tech-begeistert und finde das alles sehr angenehm. Es erleichtert viel.

Eigenheim – Brauch ich (jetzt) nicht.

Reisen – Bin ich absolut begeistert von. Ich mag es, die Welt zu erkunden.

Glück – Glück ist meine Familie für mich. Und dass ich so leben kann wie ich möchte.

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4 Antworten

  1. 太好了,谢谢你们!
    In Berlin beim Asiamarkt kann man mittlerweile übrigens auch mit WeChat Pay bezahlen. 😉 Danke für das kurzweilige Interview!

  2. Hallo! Angenehm authentischer und unaufgeregter Einblick in China und das Leben dort. Wer dieses Interview gehört hat, hat ein adäquateres Bild von China als wenn er zwanzig Artikel über China in deutschen Zeitungen gelesen hätte. Podcast hat einen neuen Hörer gewonnen. Weiter so!

  3. Ehrlich gesagt macht mir „Social Scoring“ schon ein bisschen Angst. Kontrolle ist gut, aber es kann auch zu weit gehen. Sonst können wir ja gleich alle nach Nordkorea umziehen. Wohin soll das führen?

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