„Zukunftsblind: Wie wir die Kontrolle über den Fortschritt verlieren“ – Interview mit Dr. Benedikt Herles

Sind wir zukunftsblind? Gerade in Deutschland wird eher der Status Quo verwaltet als in die Zukunft zu investieren. Hierzulande fließt mehr Geld in Immobilienfonds und Oldtimer als in High-Tech. Mit dem Start-up-Investor und Buchautor Dr. Benedikt Herles spreche ich in 70 Minuten über Risikokapital, fehlenden Fortschritt, erschreckende Zukunftsvisionen und was wir dagegen tun können. Lass dir dieses Interview nicht entgehen! Ich halte es für eins meiner besten im Finanzrocker-Podcast.

Benedikt Herles Zukunftsblind Artikelbild

Überblick Benedikt Herles im Interview

Im März erhielt ich von einem meiner Podcast-Hörer Vorschläge für neue Podcast-Gäste. Er schlug zwei Zukunftsforscher vor, von denen ich noch nie gehört hatte. Einer von ihnen war Dr. Benedikt Herles, der Ende 2018 sein zweites Buch „Zukunftsblind – Wie wir die Kontrolle über den Fortschritt verlieren“ veröffentlichte. Das Buch klang sehr spannend und so fragte ich beim Verlag an, ob ich ein Rezensionsexemplar erhalten und ein Interview mit Benedikt Herles machen könne. Beides klappte auf Anhieb. Das Buch wurde zum viel diskutierten Bestseller.

Beim Lesen von „Zukunftsblind“ wusste ich, dass ein Interview auch dringend notwendig ist, um die ernsten Themen auf die öffentliche Agenda zu bringen. Vieles ist in Deutschland noch gar nicht bekannt. Wenn dir das Interview gefällt, dann teile es bitte über deine sozialen Netzwerke.

Benedikt Herles arbeitet mittlerweile als Director und EMEA Head of ESG Insights and Innovation bei KPMG. In dieser Aufgabe berät er Entscheidungsträger bei der strategischen Planung und Umsetzung nachhaltiger Transformation.

Eine kurze Zusammenfassung des Gesprächs findest du weiter unten.

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Zusammenfassung des Interviews

Benedikt Herles PortraitÜber Dr. Benedikt Herles:

Dr. Benedikt Herles ist Startup-Investor, Buchautor („Die kaputte Elite“ 2013, und „Zukunftsblind“ 2018), Kolumnist und auf gewisse Weise auch Zukunftsforscher.

Wie kam es denn dazu, dass Sie Ihre Karriere bei einer Strategieberatung nach kurzer Zeit beendet haben?

Ich hatte zuvor über die Frage wie Menschen zu Wertvorstellungen kommen promoviert. Nach zweieinhalb Jahren im Elfenbeinturm der Wissenschaft war mir eigentlich klar, dass ich in die Wirtschaft will und da erschien mir die Strategieberatung eine gute Wahl. Ich musste dann aber relativ schnell merken, dass das nicht der richtige Ort für mich war.

Wie kommt man von der Strategieberatung zu einem Venture Capital Fonds?

Ich hatte immer Spaß an Innovation. In einem Venture Capital Fonds trifft man jeden Tag extrem spannende Gründer, die die Welt verändern wollen, Neues schaffen wollen und die den Status Quo in Frage stellen. Generell kann man sagen, dass Venture Capital immer auch eine Art Fenster zur Start-up Welt ist, mit dem man eine Art Frühwarnsystem für Innovationen schaffen kann. Man kann Kontakt herstellen zu Talent, zu innovativen jungen Unternehmen, man kann jenseits von Investitionen einfach Brücken schlagen zwischen alter und neuer Welt. Und wenn die Investitionen gut sind, wird dabei natürlich auch noch Geld verdient.

Warum ist Wagniskapital so wichtig in der heutigen technologiegetriebenen Welt?

Venture Capital ist im Prinzip der Schmierstoff für die Erneuerung der Wirtschaft. Start-ups sind die Treiber des Wandels. Bahnbrechende Innovationen entstehen meistens in kleinen Unternehmen. Damit diese erfolgreich Innovationen schaffen und wachsen können, brauchen sie Kapital.

Wir brauchen Venture Capital, um die Innovationskraft der Volkswirtschaft sicherzustellen. In Deutschland wird viel zu wenig Venture Capital investiert: 2018 wurden in den USA ungefähr 130 Milliarden US-Dollar Venture Capital investiert und in Deutschland im gleichen Jahr 1,3 Millionen Euro. Wir sind da Lichtjahre hinterher und das werden wir auch merken – nicht morgen und nicht übermorgen, aber irgendwann.

Wie kann ich mir Ihren Alltag vorstellen?

Weniger glamourös als es von außen aussieht. Also losgelöst von meiner speziellen Person: Ein Venture Capital Investor sucht neue Deals, er verhandelt Deals, die geclosed werden sollen, und er betreut sein Portfolio. Wenn man jetzt die Frage stellt, wie kommt man dann zu den guten Deals, also wie findet man die zukünftigen Einhörner, dann sind es gleich wieder drei verschiedene Tätigkeiten: Zum einen tatsächlich harter Research – man sitzt am Schreibtisch, man schaut sich Trends und Entwicklungen an. Zum zweiten Konferenzen, zugegeben eher selten, aber durchaus eine interessante Quelle. Und als dritte Quelle, mit Sicherheit das Wichtigste überhaupt: das eigene Netzwerk. Man trifft sich mit anderen Investoren und fragt, was die so sehen, wo die rein investieren und versucht sich dann mit denen zusammenzuschließen. In den meisten Fällen investiert ja nicht ein Einzelner in ein Start-up, sondern mehrere zusammen in einem sogenannten Syndikat.

Wie hoch ist das Risiko bei diesen ganzen Investments?

Also generell heißt Venture Capital auf Deutsch Risikokapital und diesen Namen hat es natürlich zu Recht. Das ist eine Hochrisiko Asset-Klasse. Aber wie immer im Kapitalismus gilt auch hier: Je höher das Risiko desto höher das Renditepotenzial. Wenn man sich die economics innerhalb eines Fonds anschaut, dann gilt die klassische Logik, dass man die Hälfte der Unternehmen abschreiben kann. Aber einige wenige Start-ups entwickeln sich so gut, dass sie den gesamten Fonds – auch die Verlierer wenn man so will – kompensieren und zurückzahlen können.

Das sind dann die sogenannten Moonshots oder Einhörner?

Naja, ein Einhorn ist ja definiert als ein noch privat gehaltenes Start-up mit einer Bewertung von über einer Milliarde US-Dollar. Aber man muss kein Einhorn erwischen, um einen richtig guten Deal zu machen. Wenn ein Unternehmen am Ende für 500 Millionen verkauft wird, also nur ein halbes Einhorn sozusagen, und man hat 20% Anteil an dem Unternehmen, dann bekommt man immer noch 100 Millionen Euro überwiesen und das ist eine ganze Menge Geld! Die wenigsten Venture Investoren insbesondere in Europa, haben in ein Einhorn investiert, aber viele machen trotzdem eine gute Rendite.

Zukunftsblind: Warum eine nachhaltige Transformation nötig ist

Sie haben in einem Interview mal gesagt, dass man als Investor auch eine Art Zukunftsforscher ist. War das einer der Gründe, warum Sie sich in Ihrem Buch komplett der Zukunft gewidmet haben?

Richtig. Weil man sich natürlich überlegt, wie die Welt von morgen aussieht, wie Wertschöpfungsketten aus sehen, wie sich Industrien oder das Konsumentenverhalten verändern… Und dann überlegt man sich, welche Start-ups diese Zukunft bedienen, welche Technologien, welche Innovationen, welche Geschäftsmodelle genau diese Szenarien bedienen.

Die Zukunft entsteht im scheinbar Kleinen, in Start-ups, in Forschungsinstitutionen, in Laboren. Was ich dort in den letzten sechs Jahren erlebt und gesehen habe, hat mir zunehmend Angst gemacht. Nicht die Innovationen an sich, sondern die Naivität, mit der wir als Gesellschaft in dieses radikal andere technologische Zeitalter schreiten und eigentlich völlig blind sind für das, was da auf uns zukommt. Das ist zukunftsblind und deshalb heißt das Buch auch „Zukunftsblind“, weil ich glaube, dass wir uns dringend mehr Gedanken darüber machen sollten, was für eine Zukunft wir erschaffen wollen mit den bahnbrechenden Innovationen, die wir gerade erleben.

Welche Rolle spielen die Post-Staatlichkeit und die Algokratie bei diesen neuen Problemen?

Mit Post-Staatlichkeit meine ich ein Zeitalter, in dem der Staat als demokratisch legitimierte Ordnungskraft sich zunehmend schwer tut mit einer explodierenden Komplexität der Gesellschaft zurechtzukommen. Wenn man sich anschaut, was gerade im Internet passiert, Fake-news explodierende Cyberkriminalität, Angriffe von ausländischen Troll-Armeen auf heimische Wahlen, dann muss man doch sagen, dass der Staat sich sehr schwer damit tut, dem noch Herr zu werden.

Anderes Beispiel: Kartellrecht. Wir haben diese digitalen Superkonzerne Google, Facebook, Amazon, etc. und wir alle wissen, dass es da zu Netzwerkeffekten kommt, die zu einer ungeheuren Machtkonzentration führen, die nicht im Sinne eines freien Wettbewerbs ist. Aber wir können kaum noch was dagegen machen. Wir können diese Firmen eigentlich auch nicht mehr richtig besteuern.

Mit Algokratie meine ich die Tatsache, dass immer mehr Dinge in unserem Leben von Algorithmen gesteuert werden. Im Kleinen beispielsweise bei der Auswahl der Songs, die wir bei Spotify oder iTunes hören, da übernimmt der Algorithmus die Auswahl. Oder wenn wir Bücher kaufen: Amazon empfiehlt uns den nächsten Kauf und meist folgen wir den Vorschlägen des Algorithmus. Oder wenn wir Auto fahren, dann folgen wir den Vorschlägen des Navigationsprogrammes. Das ist die Algokratie im Kleinen, ich nenne sie in meinem Buch die Algokratie des Alltags – die ist für die Demokratie keine Gefahr.

Es gibt aber auch immer mehr Entscheidungen, die aus der Perspektive einer freien und demokratischen Gesellschaft durchaus sehr kritisch sind. Wenn Algorithmen darüber entscheiden, wer beispielsweise einen Kredit bekommt, wer einen Studienplatz bekommt, wer einen Job bekommt, wer als Straftäter als besonders rückfallgefährdet eingeschätzt wird – all diese Themen sind heute schon im Bereich algorithmischer Entscheidungen und hier müssen wir wahnsinnig aufpassen, dass sie nicht die Grundsätze einer freien und demokratischen Legitimierung in Frage stellen.

Wenn wir über algorithmische Entscheidungen sprechen, müssen wir uns klarmachen, dass auch der aktuelle Status Quo menschlicher Entscheidungen nicht perfekt gerecht ist. Auch Richter machen Fehler. Menschen, die über Kreditvergaben entscheiden, machen Fehler. Menschen, die Studienplätze vergeben, machen Fehler. Polizisten machen Fehler. Menschen machen mit Sicherheit mehr Fehler als Computer. Aber in dem Moment, wo wir Algorithmen oder auch künstlichen Intelligenzen so verantwortungsvolle Aufgaben übertragen, müssen wir gucken, wer diese Algorithmen designt und nach welchen Maßstäben er das macht – und ob er kontrolliert wird. Der Algorithmen-TÜV ist in aller Munde, zurecht wie ich finde. Ich verstehe nicht, warum Algorithmen immer mächtiger werden, aber eine Kontrollinstanz fehlt.

Zu den biotechnologischen Innovationen gehört unter anderem Crspr/Cas9. Was steckt dahinter und inwiefern vereinfacht es die Zukunft?

Crispr/Cas9 ist eine Art Gen-Schere, eine mikrobiologische Innovation, die den menschlichen DNA-Strang zu einer Art Legokasten macht. Mikrobiologen können mithilfe von Crispr/Cas9 ganz gezielt bestimmte DNA-Sequenzen ansteuern, ausschalten, umbauen und können damit beispielsweise Krankheiten behandeln, Erbkrankheiten verhindern, aber man ist natürlich auch dem ominösen Designerbaby ein ganz großes Stück näher. Erstmal ist das eine mikrobiologische Innovation, die medizinischen Fortschritt produzieren wird, aber die eben zwei Seiten hat und genau deshalb brauchen wir Diskurse darüber, wo die rote Linie eigentlich sein soll.

In Ihrem Buch schreiben Sie immer wieder, dass auch viele IT- oder Digitalkonzerne wie Autodesk, Google oder auch Facebook mit Biotechnologie herumexperimentieren. Warum ist es für diese Konzerne so wichtig?

Weil es gigantische Zukunftsmärkte sind. Ich spreche in meinem Buch von einer Industrie 5.0, die eine biologische Revolution ist. Schon heute werden ja aus Biologen immer öfter Designer, die am Computer biologische Innovationen designen: Enzyme, Proteine, Viren, ganze Bakterien mit ganz spezifischen Aufgaben in Medizin, Lebensmittelproduktion, Industrie, Kosmetik… Diese biologischen Innovationen werden in zunehmend automatisierten Laboren erschaffen. Die Natur ist so stark manipulierbar geworden, dass wir sie uns wirklich zunutze machen können. Bei diesem biologischen Goldrausch, wie ich es nenne, wollen natürlich die großen Konzerne mitspielen.

Autodesk ist ein großer Konzern, der eigentlich Software für Ingenieure herstellt. Aber wenn Biologen zu Ingenieuren der Natur werden, dann möchte Autodesk natürlich auch da die entsprechende Software liefern. Es fließen 100 Millionen in Biotech Start-ups. Facebook investiert in Technologie, die vereinfacht gesagt das menschliche Hirn anzapft, also statt zu tippen müssen wir nur noch denken und der Computer weiß sofort, was wir wollen.

Deutschland hängt ja bei den Zukunftstechnologien extrem hinterher. Was sind die Gründe dafür?

Das ist glaube ich ein ganzer Blumenstrauß an Ursachen. Natürlich ist das Thema Venture Capital ganz wichtig. Die Deutschen sind sehr risikoavers. Wenn man sich die Politik der letzten Jahre anschaut, dann hat man schon das Gefühl, dass wir eher verwalten als Neues zu wagen, also Rückwärtsgang statt Aufbruchstimmung. Das ist genau dieses politische Innovator’s Dilemma und das hat erstaunlich große Parallelen zum Innovator’s Dilemma in der Wirtschaft. In der Wirtschaft beklagen wir ja immer die kurzsichtigen Strategien der großen Konzerne, die dazu führen, dass sie ihre marktführende Position verlieren im Zuge disruptiver Veränderungen. Aktienanalysten, Aktionärsvertreter wollen alle kurzfristige Ergebnisoptimierung und ernten kurzsichtige Strategien – das ist ja auch der Grund, warum Familienunternehmen, die eben nicht auf Quartalsergebnisse schauen müssen, im Schnitt in der langen Frist erfolgreicher sind.

Aber was in der Wirtschaft Quartalsergebnisse und Aktionärsvertreter sind, das sind in der Politik Landtagswahlen, politische Journalisten, oder auch wir Wähler, die kurzfristige Ergebnisse fordern.

Die vier Ursachen dafür sind:

1. die Demographie: Der Durchschnittswähler ist sehr alt in Deutschland. Politik ist natürlich immer zielgruppengerecht und die Zielgruppe in Deutschland ist immer älter.

2. der Ursprung der politischen Spieler: Die Parteien und Gewerkschaften  entstammen einer industriellen Zeit, die es so gar nicht mehr gibt.

3. die Art und Weise wie unsere Mediendemokratie heute funktioniert.
Alles muss in 30 Sekunden Soundbites passen. Politik wird in Talkshows gemacht und mithilfe von Twitternachrichten – da ist es natürlich schwer, die komplexen und komplizierten Zusammenhänge zwischen beispielsweise künstlicher Intelligenz und dem Arbeitsmarkt zu erklären.

4. unser Wohlstand: Alle volkswirtschaftlichen Indikatoren stehen tief im grünen Bereich und das ist sicherlich keine Stimmung, die sich für tiefgreifende Reformen aussprechen würde.

Wir haben es hier mit einem systemischen Problem der Demokratie zu tun. Ich habe in meinem Buch schon konkrete Reformvorschläge gemacht und ich glaube, mit entsprechendem Mut und Gestaltungswillen kann man dieses Land modernisieren und zukunftsfähig machen.

Der Gesellschaft droht nach einigen Aussagen im Buch eine Verblödung durch extreme Filterblasen und ausufernde Langeweile, weil die Menschen in Zukunft wegen der Digitalisierung immer weniger zu tun haben. Sieht man davon heutzutage schon Tendenzen?

Ja. Die Filterblasen, die Echokammern sind ja in aller Munde. Wir haben schon eine gewisse Verzerrung der öffentlichen Meinungsbildung durch soziale Medien und das wurde auch ausgiebig diskutiert. Stichwort Langeweile: Wenn wir einen immer größeren Teil der Wertschöpfung automatisieren, ergibt sich daraus ein gewisses psychologisches Problem, weil wir uns alle über unsere Arbeit definieren. Wenn diese Arbeit nun immer mehr von Maschinen übernommen wird, dann haben wir als Gesellschaft sozusagen ein Selbstwertproblem.

Zitat: „Nur seine Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen und sein Vermögen, wertebasierte Schlüsse zu ziehen, behüten den Homo Sapiens in Zukunft vor der Irrelevanz.“ Was macht denn der Mensch dann in der nicht allzu fernen Zukunft?

Dass wir einen immer größeren Teil der ökonomischen Wertschöpfung an Maschinen auslagern werden bedeutet ja nicht, dass uns als Gesellschaft die Arbeit im Sinne einer gesellschaftlichen Wertschöpfung ausgeht. Einfach ausgedrückt: Wir müssen uns ja weiter um Alte, Kinder, Kranke, die Kultur kümmern, und zum Glück gibt es hierzulande einen gesellschaftlichen Konsens, dass diese Aufgaben von Menschen übernommen werden sollen. Wenn das so ist, dann geht uns vielleicht die klassische ökonomische Arbeit aus, aber nicht die Arbeit des Umeinander-Kümmerns. Und das ist die große Chance, die wir haben.

Deshalb fordere ich in meinem Buch auch ein sogenanntes bedingtes Grundeinkommen. Wir müssen gesellschaftliche Wertschöpfung auch mit ökonomischer Wertschätzung verbinden, weil eben die klassische ökonomische Wertschöpfung, also die klassische Arbeit immer mehr durch Maschinen automatisiert wird.

Jetzt stellt sich natürlich die große Frage: Wie kann die Zukunftsblindheit denn beseitigt werden?

Unter anderem liegt mir die Frage am Herzen, wie wir eigentlich diese Fortschritts-Rendite verteilen. Roboter und künstliche Intelligenzen machen den ökonomischen Kuchen größer, steigern die Produktivität, steigern die Effizienz von Unternehmen, aber nur die Eigentümer der Unternehmen haben etwas davon. Roboter und künstliche Intelligenzen sind nichts anderes als Kapital im Einsatz, wenn man so will. Kapital ist immer in der Hand weniger, während Arbeit demokratisch ist. Jeder hat zwei Hände um zu arbeiten, aber nicht jeder hat Anteile an einem Unternehmen. Das heißt, die Fortschritts-Rendite wird relativ ungerecht verteilt.

Deshalb bin ich zum Einen dafür, Kapital und Lohn gleich zu besteuern. Das ist momentan nicht so, Lohn wird viel stärker besteuert als Kapital. Zum Anderen glaube ich, dass wir das Thema unternehmerische Beteiligung viel stärker fördern müssen. In Start-ups ist es längst üblich, dass Mitarbeiter an der Wertentwicklung ihrer Arbeitgeber partizipieren über sogenannte esops, also employee stock option Programme. Wenn ein Start-up wertvoller wird, haben so alle etwas davon. Ähnliches könnte man sich ja durchaus auch für große Konzerne oder Großunternehmen vorstellen. Das Resultat wäre eine gerechter verteilte Fortschritts-Rendite, weil die zunehmende Produktivität, der Ertrag der Automatisierung auf mehr Anteilseigner verteilt wird.

Stichwort Zukunftsfonds  wäre sowas hier auch denkbar?

Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass der größte Anteil der Fortschritts-Rendite außerhalb Deutschlands generiert wird. Meine Idee war einen Staatsfonds zu gründen, der ähnlich dem Vorbild
beispielsweise von Norwegen oder Singapur ganz fleißig in zukunftsträchtige Unternehmen und Start-ups investiert. Wenn man mit diesem Fonds eine Rendite erwirtschaften würde, könnte man das Geld beispielsweise in das Bildungssystem stecken und so dafür sorgen, dass wir kommende Generationen besser ausbilden und damit den Wohlstand dieser kommenden Generationen schützen und fördern.

Die Frage nach der Qualität des Bildungssystems ist die Frage nach dem Wohlstand kommender Generationen. Nichts ist so wichtig wie die Investition in das Bildungssystem und ich bin immer wieder erstaunt, wie konsensfähig die Forderung nach einem besseren Bildungssystem ist – kein Parteiprogramm, keine Sonntagsrede ohne Forderung nach einem besseren Bildungssystem – aber am Ende des Tages tut sich nicht viel. Wir haben jetzt den Digitalpakt Schule, das heißt es kommt WLAN auf die Schulhöfe und Tablets in die Klassenzimmer. Klasse, habe ich gar nichts dagegen, ist aber sicherlich nicht der Weg hin zu einem zeitgemäßen Bildungssystem.

Stichwort Geldanlage: Investieren Sie bei Ihren ganzen Einblicken in Zukunftstechnologien eigentlich auch in Einzelaktien oder doch eher passiv?

Ich bin kein sehr wohlhabender Mann, soviel anzulegen habe ich also nicht. Ich glaube, dass es an den Equity-Märkten sehr schwer ist, immer wieder ein Alpha zu generieren, also besser zu sein als der Markt. Deshalb investiere ich persönlich nicht in Einzelwerte, sondern setze einfach auf die Entwicklung des Gesamtmarktes.

Wordshuffle

Rustbelt: Eine Gegend in Amerika, der ideologische Heimatmarkt von Donald Trump. Ein Symbol dafür, wohin die Reise geht, wenn wir in Deutschland nicht aufpassen. Amerika ist eine tief gespaltene Nation.

Silicon Valley: Das größte mächtigste Start-up Ökosystem der Welt, mit einer Anziehung für Kapital, Talent, Ideen wie kein anderer Ort auf der Welt sie hat, und dementsprechend die Brutstätte von gigantischer Innovation. Aber zunehmend auch eine Blase, die sehr losgelöst ist vom Rest der Welt, weil es eben ein Mikrokosmos ist, der so nur im Silicon Valley existiert.

München: Meine Heimat natürlich, und der Ort in dem ich lebe. Ich liebe München, aber manchmal hasse es auch – wenn ich im Verkehr stecke, wenn ich mir überlege wie viel Miete man hier zahlt – und ich habe Sorge, dass München an seinem eigenen Wohlstand erstickt.

Capital-Kolumne: Eine fantastische Sache – Herles Zukunftsblick ist im Prinzip die Möglichkeit, all das, was ich in meinem Buch beschrieben habe auf aktuelle Themen zu beziehen.

Rockmusik: Rockmusik ist grandios, Rockmusik ist Revolution, Revolte – und diesen Geist der Revolte brauchen wir, wenn wir das Beste machen wollen aus diesen revolutionären Zeiten.

Reisen: Tatsächlich meine Lieblingstätigkeit. Es gibt nichts Inspirierenderes.

Glück: Glück ist natürlich die oberste Währung. Egal über was man redet, privater Natur, beruflicher Natur, politischer gesellschaftlicher Natur, das Glück ist immer das ultimative Ziel.

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7 Antworten

  1. Immer die gleiche Aussage, dass Kapital günstiger besteuert würde als Arbeit. Ist der Rest des Buches auch so sauber recherchiert? Wahrscheinlich wird wieder nur mit der verkürzten und damit unrichtigen Aussage gearbeitet, Arbeit wird mit bis zu 42% besteuert, während Kapitalerträge mit 25% besteuert würden. Ein Beweis wird meistens schuldig geblieben.

    Die Rechnung (Stand 2019) sieht nämlich folgendermaßen aus (betrachtet wird hier nur die Einkommenssteuer, Soli & Kirchensteuer sind zur Vereinfachung nicht berücksichtigt, da sie die Aussage nicht verändern wurden):

    Unternehmen erwirtschaftet 100.000€.

    Fall A: Auszahlung als Gehalt
    Für den Betrag über 55.961€ fällt zwar der Spitzensteuersatz von 42% an, die Steuer laut Grundtabelle beträgt insgesamt jedoch „nur“ 33.219€, also 33,2%.

    Fall B: Auszahlung als Gewinnausschüttung (Kapitalertrag)
    Im Gegensatz zum Gehalt fallen auf die 100.000€ jetzt erstmal 15.000€ Körperschaftssteuer plus zusätzliche ca. 15.000€ Gewerbesteuer (je nach Ansässigkeit) an. Von den verbleibenden 70.000€ werden jetzt 25% Kapitalertragssteuer abgezogen, entspricht 17.500€. Somit werden in Fall B 47.500€ Steuer gezahlt, also 47,5%.

    Wo wird hier jetzt genau Kapital günstiger besteuert als Arbeit?

    Auch bei höheren Überschüssen fallen bei einer Auszahlung als Gehalt weniger Steuern an, als bei der Gewinnausschüttung. Daher wäre ein möglichst hohes Gehalt einer Gewinnausschüttung immer vorzuziehen. Genau aus diesem Grund verbietet der Staat dies auch als „verdeckte Gewinnausschüttung“. Schon komisch, dass es diesen Tatbestand überhaupt gibt, wenn doch Kapital günstiger besteuert sein soll als Arbeit.

    1. Hoffentlich meinte Benedikt nur die Besteuerung von Zinseinkuenften?!

      Dann stimmt seine Aussage.
      Der globale Rentenmarkt ist laut Google 100 Billionen USD gross der globale Aktienmarkt nur 64 Billionen USD (sagt Google).
      Gegen Senkung der Einkommensteuer auf kumuliert 25% haette ich nix einzuwenden

  2. Wichtiger als (wieder) eine Steuerdiskussion finde ich den Punkt, was wir (und zusammen sind wir der Staat) mit dem Geld machen, um langfristig erfolgreich zu sein.

    Denn die Gefahr ist bei so schleichenden Veränderungen – und auch wenn Digitalisierung und Automatisierung jetzt in aller Munde sind, handelt es sich um eine Veränderung über Jahrzehnte – dass man die nicht hoch genug auf dem Schirm hat und irgendwann den Anschluss verliert.

    Ich finde daher insb die Punkte
    1) Bildung – möglichst viele Leute in den neuen Themen befähigen und die gut ausgebildeten dann hier halten
    2) Vorsorge – über einen nachhaltigen Staatsfonds (graduell aufzubauen) für die Teile der Gesellschaft vorzusorgen, die sich nicht (schnell genug) anpassen können

  3. Danke Daniel und Benedikt fuer den tollen Podcast!

    Inzwischen hab‘ ich ihn gehoert und Benedikt meint tatsaechlich die Abgeltungssteuer auf Aktien?! Dzdzdz

    Was in meine Filterblase passt:
    – die allermeisten Einzelaktien Anleger spielen ein Losers Game (sagt Benedikt).
    – Demokratie ist eine Schoenwetterveranstaltung, Aenderungen/Inno-Spruenge gibt’s nur in Krisen (vgl. Agenda 2010)
    – Konsequenz: „Freu‘ dich am schoenen Wetter, mehr kannst du nicht tun“, oder?
    (wo sind die jungen Wilden?)
    – Bildung ist wie Pferde traenken: saufen muessen die Vaeter/Maenner heute alleine 😉 (Vatertag, aeh Christi Himmelfahrt)
    – Staatsfonds: gibt’s – bis auf weiteres – keine politischen Mehrheiten in D … (fuerchte, da huelfe auch keine Krise?)
    – Handlungsanweisung fuer die Zukunft (albertinisch): „Et kütt wie et kütt“

    Schoenen Restfeiertag, Joerg

  4. Wieder eine launige unterhaltsame und auch nachdenklich machende Folge. Danke Dir.

    Hängen geblieben und spontan für gut befunden ist bei mir das bedingte Grundeinkommen mit den Sozial Punkten (auch wenn das schön kaputt reguliert werden könnte).

    Das gefällt mir gut – als ehemaliger Zivi (gabs mal vor vielen Jahren und war eine gute Erfahrung die gerade in der nun oft propagierten „verdiene so schnell wies nur geht viel Geld verplempere keine Zeit – schon gar nicht mir sozialem Gemeinwohltun – sei dir selbst der Nächste!“ völlig unter den Tisch gefallen ist) dürfte ich schon mal ein paar Punkte mir anrechnen können 😉

    1. Dank Dir, das freut mich zu hören. Vom Content her ist das eine meiner Lieblingsfolgen 2019. Auch das Buch hat mir sehr gut gefallen. Leider kam nur sehr wenig Feedback zu der Folge. Keine Ahnung, warum.

      Und der Denkansatz mit dem bedingten Grundeinkommen gefällt mir auch sehr gut.

      1. Schade das du zu der Folge so wenig Feedback bekommst – das lässt vermuten das du dann auch weniger solche Kandidaten einlädst und das fände ich schlecht ;/
        Auch wenn natürlich ein klassischer Dividendensammler oder ETF Jäger unterhaltsames beisteuern kann hat man dies (je nachdem) halt schon 100 mal gehört und die eigene Filterblase ab und an zu verlassen ist absolut kein Fehler (ich sag nur Algorithmen bestimmen unseren Konsum – hat er ja auch schön aufgezeigt) 🙂
        Das Buch hab ich schon bereit gelegt 😉

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