Seit 2 Jahren sind die Themen Frugalismus, finanzielle Freiheit und Rente mit 40 in aller Munde. Florian Wagner hat dazu nun ein Buch geschrieben. Darin erzählt er 14 interessante Geschichten von Menschen, die mit 40 oder früher nicht mehr auf ein Arbeitseinkommen angewiesen sind. Im Finanzrocker-Blog erzählt Florian die Geschichte von Ranga.
Inhalt
Überblick Florian Wagner: Rente mit 40
Leben wir unser Leben nach unseren Vorstellungen? Liegt unser Fokus auf dem Wesentlichen, auf dem was uns wichtig ist? Diese Fragen hat sich Florian Wagner vor einem Jahr auch gestellt und musste sie mit Nein beantworten.
Er kündigte seinen Ingenieursjob. Ein Puffer von 7 Jahresausgaben gab ihm die Sicherheit dazu. Vom Ullstein-Verlag bekam er das Angebot, über das Thema Frugalismus und Rente mit 40 ein Buch zu schreiben. Dank inspirierender Realgeschichten von „ganz normalen“ Menschen, die mit 40 oder früher nicht mehr auf ein Arbeitseinkommen angewiesen sind, ist das Buch eine Inspiration, unser Leben bestmöglich zu gestalten.
Nachfolgend ein gekürzter Textauszug aus einer der 14 Praxisgeschichten aus dem Buch “Rente mit 40 – Finanzielle Freiheit und Glück durch Frugalismus” von Florian Wagner.
Ranga aus Nürnberg: Mittellos im fremden Land zur finanziellen Freiheit
Ranga ist Mitte 30, verheiratet und lebt mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern in Nürnberg. Ranga ist in Rente, auch wenn er das selbst nicht so nennen würde.
Wir sind in einem kleinen Café in der Nähe seiner Wohnung verabredet. Er wirkt freundlich und gelassen, sein indischer Akzent ist hörbar, aber er spricht sehr gut deutsch. Dass er einmal mit Mitte 30 in Rente gehen und frei über seine Zeit mit den Kindern bestimmen könnte, hätte er sich früher nicht träumen lassen. 2003 kam er mit 22 Jahren aus Indien nach Deutschland: mit 400 Euro in der Tasche und den beiden Worten »bitte« und »danke« an Sprachkenntnissen.
Rangas Kindheit in Indien: 25 Personen unter einem Dach
Ranga wuchs mit seinem Bruder und seinen Eltern in der Nähe von Neu-Delhi auf. Er lebte mit seinen Verwandten in vier Generationen zusammen in einem Haus. Jede Familie hatte ein Zimmer, Küche und zwei Toiletten teilten sich die insgesamt 25 Familienmitglieder. […]
Schon als Jugendlicher sparte er und wollte, dass das Geld für ihn arbeitet – und nicht er für das Geld. »Ich stellte mir immer vor, dass eines Tages der Postbote vorbeikommt und mir Geld bringt«, erzählt Ranga mit einem Lächeln. Er beschreibt seine Kindheit als sehr glücklich.
Sein Vater war Arzt, und im Vergleich zu vielen Familien in der Nachbarschaft ging es der Familie ziemlich gut: Sie gehörten in Indien zur Mittelschicht. Die Verhältnisse in Armut waren trotzdem sehr schwierig und prägend für Ranga. »Ich habe in der Praxis meines Vaters erlebt, dass Familien umgerechnet keine 10 Cent für eine lebensrettende Spritze für ihr Kind hatten. Viele Menschen sind gestorben!«
Ranga konnte nach der Schule studieren und wählte Elektrotechnik – ein Fach, das er in Indien mit einem Bachelor abschloss. Er wollte im Ausland arbeiten. Er machte sich auf den Weg nach Deutschland und wagte im Alter von 22 das Experiment, ohne Geld und der Sprache nicht mächtig.
Ohne Geld und Sprachkenntnisse – aber mit einem Ziel
Als er in Deutschland ankam, war ihm klar, dass sein Geld begrenzt war. Sein Ziel war, sich mindestens 6 Monate durchzuschlagen. Wenn es schiefginge, müsste er zurück nach Indien.
Ich möchte wissen, wie er ohne Sprachkenntnisse an Geld für Nahrung und Miete gekommen sei, während er studierte: »Zu Beginn bin ich täglich ins Jobcenter gegangen. Ich habe eine Nummer gezogen, wie in einer Lotterie. Sie zogen Zettel aus einem großen Topf und, wenn man Glück hatte, bekam man Arbeit.
Wenn es nicht klappte, ging ich wieder an die Uni.« Die Jobs dauerten meist nur einen Tag, manchmal auch etwas länger. »Ich verrichtete meistens Lagerarbeiten in einer Fabrik, reinigte Schiffscontainer oder verteilte Flyer für einen Stundenlohn von 5 Euro. An einem Tag stand ich stundenlang mit einem Werbeschild in der Kälte. Die passende Kleidung hatte ich noch nicht. Ein Passant hatte Mitleid und schenkte mir Handschuhe.«
Er lebte sparsam. Seine gesamten Monatsausgaben in Deutschland betrugen 260 Euro, inklusive Miete. »Gewohnt habe ich zur Miete in einer Einzimmerwohnung, die ich für 180 Euro mit einem Freund geteilt habe.« […]
»Aber man muss verstehen: Das war vorübergehend«, erklärt mir Ranga immer wieder. Er vergleicht es mit einer Bergwanderung: Wenn man einen Gipfel wie den Mount Everest erklimmen will, schleppe man auch keine Pasta oder Koteletts mit hoch. Man esse aus der Dose oder eine Tütensuppe, bis der Gipfel erklommen sei.
Wenn man ein Ziel habe, sei es kein Problem, anstrengende Phasen zu bewältigen. Sein Ziel war, sein Studium in Deutschland innerhalb von 2 Jahren zu schaffen.
Der erste richtige Job
Er schlug sich 6 Monate durch und fand einen 400-Euro-Job bei einem Forschungsinstitut, wo er als Programmierer arbeitete. Er konnte sogar genug Geld sparen, um einen Flug nach Indien zu kaufen und seine Eltern nach 6 Monaten zu besuchen.
Sein Studium schritt voran, er fand einen Praktikumsplatz in Süddeutschland, der mit 600 Euro pro Monat entlohnt wurde. Als Unterkunft suchte er nach einer Wohnung, wo er am Wochenende Hausmeisterdienste für die Eigentümer erledigen konnte im Gegenzug für eine geringe Miete.
In seinem Praktikum arbeitete er täglich 16 Stunden und bekam nach 3 Monaten eine Gehaltserhöhung auf 900 Euro: »Ich scheue keine Arbeit«, sagt er. Nach Praktikum und Masterarbeit erhielt er einen befristeten Vertrag, der später verlängert wurde. Er lernte seine Frau kennen, und kurze Zeit später kamen seine Kinder zur Welt.
Hoher Sparbetrag und erste Immobilien
Er arbeitete bis zu 16 Stunden am Tag und stieg schnell die Karriere- und Gehaltsleiter empor. Er lebte jedoch weiterhin genügsam: »Meine Ausgaben nahmen nur leicht zu.«
Er lebte immer in WGs, unternahm aber an den Wochenenden viele Reisen, um andere Orte kennenzulernen. Wenn er reiste, übernachtete er aber nicht in teuren Hotels in Touristengegenden, sondern wollte mit Einheimischen in Kontakt treten. […]
Nachdem Ranga genug zum Leben hatte, kam irgendwann der Gedanke, dass er zwar arbeiten möchte, aber selbst bestimmen, was, wann und mit wem.
Doch diese Idee war nicht konkret: »Ich dachte wieder an meine Kindheitsvorstellung und den Postboten: Er soll kommen und das Geld bringen, aber wieso sollte er es mir geben?«, lacht Ranga. Er begann in Aktien zu investieren und suchte nach Immobilien – der »Postbote« sollte in Form von Dividenden und Mieten zu ihm kommen. […]
Durch sein bescheidenes Leben bei geringen Kosten und hohem Gehalt blieben monatlich bis zu 75 Prozent übrig. Er brauchte das Geld nicht, darum steckte er die Überschüsse in die Tilgung seiner Immobilienkredite. Auch die Banker waren überrascht, wenn er mit bis zu 9 Prozent jährlich abzahlte. »Ich brauchte das Geld einfach nicht«, erklärt Ranga.
Wer durchschnittlichen Einsatz zeigt, erhält ein durchschnittliches Leben
Ranga war sich stets bewusst, dass man bei durchschnittlichem Einsatz ein durchschnittliches Leben bekommt. »Wer klassisch mit Aktienfonds und einer Sparquote von 20 Prozent mit 40 in Rente möchte, wird scheitern.«
Wer solch ambitionierte Ziele habe, müsse erfinderisch sein, sich etwas aufbauen und die Extrameile gehen: »Am besten baut man sich ein Geschäft auf, das einem Spaß macht und das man auch umsonst tun würde«, lächelt Ranga. Drei Qualitäten seien dabei wichtig: Mut, Risikobereitschaft und eine Vision.
Eine seiner Wohnungen musste damals renoviert werden, was er selbst in die Hand nahm. »Um 3 Uhr in der Früh bin ich aufgestanden, habe ab 4 Uhr die Wohnung renoviert, und um 8 Uhr musste ich zurück sein, weil ich meinen Sohn in den Kindergarten bringen musste.« Um 9 Uhr war er dann bei der Arbeit – so verliefen die Tage oft.
»Ich habe nur meine Freiheit gesehen, was mich angespornt hat. Er arbeitete bis zu 16 Stunden am Tag und kümmerte sich um seine Immobilien. Natürlich hatte er dabei großes Glück, weil die Immobilienpreise mittlerweile stark gestiegen waren. Für mich klingt Rangas Erfahrung weniger nach purem Glück oder Zufall, und ich denke an das Zitat, das ich von einem Unternehmer hörte: »Glück ist, wenn Vorbereitung auf Gelegenheit trifft.« Ranga war vorbereitet. […]
Rangas Alltag heute
Wie sieht sein Alltag heute aus? Ranga steht trotz Unabhängigkeit von einem Job jeden Morgen meist gegen 5 Uhr auf. Dann liest er in Ruhe, was in der Welt passiert, und informiert sich zu Finanzthemen. Viel Zeit verbringt Ranga mit seinen Kindern: Er bringt sie zu Schreinerkursen oder zum Fußballtraining.
Er kocht dreimal am Tag für die Familie. Manchmal geht er morgens bereits wandern, allein oder mit einem Freund. Gegen 14 Uhr ist er zurück und holt seine Kinder aus dem Kindergarten ab. Dann begleitet er sie oft zum Schwimmen, oder er unternimmt etwas anderes mit ihnen. Das Abendessen kocht die Familie meistens selbst – aus Überzeugung und nicht, weil sie Geld sparen will. Der kostbarste Luxus für ihn und seine Frau sei Zeit: »Du kannst alles haben im Leben, aber nicht unbegrenzt Zeit.« […]
Zeit wird zur wertvollsten Ressource
»Die meisten powern sich Montag bis Freitag im Job völlig aus und sind am Wochenende komplett kaputt, sodass sie gerade noch den Wocheneinkauf erledigen können, die Wäsche waschen und bloß keine aufwendigen Aktivitäten wollen.« Er sieht sich daher nicht in Rente, sondern er »arbeitet in Freiheit«.
Wofür er viel Geld ausgibt, sind Reisen mit der Familie. Da genießt er das Leben so richtig, und alle gewinnen viel Lebensfreude für ihr Geld. […]
Das Gefühl von Glück kann man auch mit wenig haben oder mit viel nicht haben
Die Antwort auf meine nächste Frage kann ich mir fast denken, aber ich stelle sie trotzdem: »Könntest du dir vorstellen, wieder einen festen Job anzunehmen?« Rangas klare Antwort: »Nein!«
Wenn es die Umstände notwendig machen würden, würde er natürlich wieder in einem Job arbeiten, aber freiwillig will er nie mehr zurück. Die Freiheit, über seine Zeit verfügen zu können, ist ihm zu wichtig. Das müsse man selbst erleben, das könne man nicht beschreiben, wie es ist, wenn man freie Kontrolle über seine Zeit habe – ein Zustand, den sie sich selbst erarbeitet haben.
Zum Abschluss möchte ich wissen, ob ihn Geld glücklich macht: »Geld gibt Sicherheit. Glücklich machen mich Freundschaften, Kinder, Musik, Wandern, Beziehungen und Radfahren.«
Für Glück müsse man immer aktiv sein: Freundschaften pflegen, Kinder erziehen, Musik hören oder selber machen, Rad fahren und schwitzen. Dabei sei irrelevant, wie viel Geld auf dem Konto ist oder wie viele Immobilien man besitze: »Das Gefühl von Glück kann man auch mit wenig haben oder mit viel nicht haben.«
Über Florian Wagner:
Florian Wagner, 1987 in Süddeutschland geboren, ist Wirtschaftsingenieur und Privatanleger. Während er mehrere Jahre als Projektleiter in der Automobilindustrie arbeitete, entdeckte er das Konzept des Frugalismus und die Möglichkeit, schon sehr früh in Rente zu gehen: Er hinterfragte unnötige Ausgaben, investierte seine Überschüsse und hatte nach vier Jahren bereits einen Puffer von 140.000 Euro – ohne Einschränkungen, sondern mit gestiegener Lebensqualität. Er kündigte seinen sicheren und gut bezahlten Job und machte sich als Finanzcoach und Autor selbstständig. Seit 2017 informiert Florian Wagner auf seinem Finanzblog www.geldschnurrbart.de über finanzielle Unabhängigkeit und ein selbstbestimmteres Leben. 2019 veröffentlichte er beim Ullstein-Verlag das Buch Rente mit 40″ über Finanzielle Freiheit und Glück durch Frugalismus.
Bild: Florian Wagner
Weitere interessante Artikel
“Ich plane mit 400 Zahltagen im Jahr” – Interview mit Nils Gajowiy
Von Dividenden leben: Christian lebt mit 54 von seinen Dividenden
“Vermögen haben bedeutet Verantwortung” – Interview mit Dr. Nikolaus Braun
“Banken verschenken Potenzial durch komplizierte Sprache” – Interview mit Dr. Patrick Vosskamp
6 Finanzentscheidungen, die mir Erfolg gebracht haben
Gesetzliche Rente, Betriebsrente, Riester und Rürüp mit Dr. Rolf Schulte – Der Finanzwesir rockt 84
3 Antworten
Interessante und vor allem inspirierende Geschichte. Was ich aber auch immer im Hinterkopf behalte: Auf jeden, der so etwas schafft, gibt es zig Leute, die gescheitert sind, obwohl sie sich auf rangehalten haben. Sei es, weil sie dem Druck nicht standhalten, einfach Pech haben und alles verlieren, etc.
Aber: Wer nichts macht, hat schon verloren. Wer sich anstrengt, kann auch gewinnen.
Es ist halt immer so ein Abwägen: Wie weit schränkt man sich jetzt ein, um später die Früchte seiner Sparsamkeit zu ernten. Ich kenne viele, für die wäre so ein Leben nichts. Die brauchen einen (Angestellten-)Job, in dem ihnen gesagt wird, was sie zu tun haben, der ihrem Leben einen Rahmen gibt.
Die Umgebung (Freunde) tut ihr übriges. Man wird schief angesehen, warum man sein Geld spart, statt Party zu machen, ein tolles Auto zu kaufen, etc
Ich spreche da aus Erfahrung. Aber wenn man Gleichgesinnte findet (und das sollte das Ziel sein, wenn man so einen Weg geht), dann bekommt man Unterstützung!
Guter Artikel, vielen Dank. Motiviert immer wieder, zu sehen, wie es andere schaffen, was man selbst vorhat.