Das Thema Rente wird im aktuellen Wahlkampf nur am Rande erwähnt. Mit der Aktienrente hat die FDP eine sinnvolle Ergänzung vorgeschlagen. Doch ist der Vorschlag sinnvoll? Ist das Umlagesystem bei der Rente gescheitert? Darüber spreche ich mit Prof. Dr. Hartmut Walz im Video-Interview. Hier im Blog findest du die Zusammenfassung.
Überblick Aktienrente
Im aktuellen Wahlkampf werden viele Themen heiß diskutiert – Rente und Altersvorsorge gehören jedoch nur am Rande dazu. Anstatt über diesen Missstand den Kopf zu schütteln, möchte ich meinen Beitrag zu einer besseren Informationslage leisten!
Daher habe ich Prof. Dr. Hartmut Walz zu einem Video-Interview zu genau diesen Themen eingeladen. Durch seine Tätigkeit als Buchautor, Redner und Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen hat er sich zu einem der führenden Verhaltensökonomen und Experten für Geldentscheidungen im deutschen Sprachraum entwickelt.
Zusammenfassung Interview Prof. Dr. Hartmut Walz
Herr Walz, ich freue mich, dass ich mit Ihnen über ein weiteres, aktuelles Thema sprechen kann! Zur Aktienrente gehen die Meldungen ja momentan auf und ab, da die Parteien diesen Punkt nun auch aufgegriffen haben und es sich ja um eine wirklich wichtige Frage handelt.
Gerade bei der Frühstückslektüre habe ich gesehen, dass es mal wieder neue Aussagen zur Rente mit 70 gibt. Diesmal kommen sie von Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Dieser fordert ein Renteneintrittsalter von 69 bzw. 70, da die Deutschen immer älter werden und so dieses Rentensystem nicht mehr finanzieren können.
Denken Sie auch, dass dieses Umlagesystem nicht länger finanzierbar ist, wenn nicht bis 70 gearbeitet wird? Oder gibt es hier noch andere Hebel?
Prof. Dr. Hartmut Walz: Ja, solche Aussagen sind natürlich immer politisch motiviert und sollen “Duftmarken” erzeugen, oder anders gesagt: Grenzsteine in die Erde rammen. Man könnte es allerdings auch weniger dramatisch ausdrücken und sagen, dass man das Renteneintrittsalter eben variabel davon abhängig machen muss, wie sich die Restlebenserwartung erhöht.
Das heißt also, wenn man nach einigen Jahren feststellt, dass die Deutschen erneut durchschnittlich drei oder vier Monate länger leben, könnte man ja den Renteneinstieg um diesen Zeitraum anheben.
Ein solcher Vorschlag würde nicht ganz so dramatisch klingen, aber wir sehen hier nun mal genau diesen Hang zum Drama und der Aufmerksamkeitsökonomie. Man muss laut “quaken”, um gehört zu werden.
Wäre es nicht auch eine Möglichkeit, die Zinsen wieder zu erhöhen?
Also hier müssen wir jetzt zwei Dinge auseinanderhalten: Es gibt Altersvorsorgesysteme, die mit Kapitaldeckung funktionieren. Das sind Produkte wie Riester, Rürup, aber auch die ganzen ungeförderten Angebote wie Lebens- und Rentenversicherungen, die auf Kapitalbasis funktionieren.
Diese sind zinsabhängig (vor allem historisch, denn Aktien hatten diese Produkte kaum und wir wollen ja heute speziell über die Aktienrente reden), denn sie bestehen, je nach Versicherer, zu 60 bis 80 % aus Zinsprodukten. Dazu zählen langfristige Anleihen – diese leiden unter den niedrigen Zinsen oder Nullzinsen.
Auf der anderen Seite haben wir die gesetzliche Rente, die ja nach einem Generationenvertrag funktioniert. Diese sind nicht vom Kapitalmarktzins abhängig und in der aktuellen Nullzinswelt, die uns wahrscheinlich noch einige Jahre begleiten wird, die robustere Option.
Der Generationenvertrag ist unabhängig von der Zinslandschaft, da er keinen Kapitalstock benötigt. Allerdings fällt uns die Demografie auf die Füße: Wir bräuchten einfach mehr Geburten, denn wir erleben aktuell den Renteneintritt der Baby Boomer.
Dadurch haben wir einen Ruck in unserer Altersvorsorge, die nun durch zwei nicht so schöne Entwicklungen in der Zwickmühle steckt: demografischer Wandel und Nullzins.
In genau einem Monat wird wieder gewählt, das heißt es wird ordentlich “geklingelt” und auf das Thema verwiesen. In den letzten Legislaturperioden wurde der Punkt Rente aber nie angegangen. Zuletzt war es unter Schröder, dass hier etwas passiert ist. Warum wurde dieses Thema aber nicht früher behandelt, obwohl es so essenziell wichtig ist?
Meine ehrliche, aber ein wenig unbeliebte Meinung zu diesem Thema, die die Branche nicht so gerne hört, lautet: Die Lobby-Politik funktioniert perfekt, und diese möchte einen Wandel verhindern. Insbesondere die Versicherungslobby würde durch kostengünstigere Produkte und transparentere Spielregeln Ertragspotenziale verlieren.
Genau deshalb passiert nichts; stattdessen wurde bis ins vergangene Jahr die Riester-Rente massiv beworben – und das ist typisch für Lobbyisten – ein Produkt, von dem in erster Linie die Anbieter profitieren, die diese sehr teuren Riester-Renten unters Volk bringen. Aber woran ist Riester denn tatsächlich gescheitert? Doch nicht an den Kosten, oder?
Na ja, die Kosten wollen wir mal nicht übersehen! Wenn einzelne Anbieter bis zu 38 Prozent ihrer gesamten Beiträge während der Laufzeit in den Kosten-Topf abzweigen, wird es schon sehr schwierig. Die übrigen 62 Prozent, gepaart mit schlechten Renditen… das sind einfach sehr unbefriedigende Voraussetzungen.
Kosten würde ich daher durchaus als einen Grund sehen. Das zweite Problem ist allerdings die Garantie, denn das Geld muss ja sehr risikoarm und damit auch ertragsarm angelegt werden. Natürlich wollen wir uns nicht in hohe Risiken stürzen, aber wenn wir die langen Laufzeiten dieser Altersvorsorgeverträge betrachten, bei denen sich kurzfristige Effekte wie Corona oder ein kleiner Börsencrash wieder ausgleichen, dann wäre ein Nicht-Garantie-Produkt wesentlich sinnvoller gewesen.
Nur: Ein Garantieprodukt bei einem Dritten, der sich hier bedient, ist ein No-go! Ich persönlich lege garantiefrei an; aber ich würde nicht einem Versicherer sagen: “Leg du mein Geld garantiefrei an”.
Ich habe in der ZDF-Heute-Show gesagt, dass ich gegen dieses Vorgehen bin. Es ist, als würde man Vampiren das Controlling über eine Blutbank geben. Diese Aussage hat für viel Resonanz gesorgt.
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Im Vorgespräch haben Sie von einer Demokratisierung der Aktienanlage gesprochen. Was verstehen Sie denn darunter?
Das bedeutet aus meiner Sicht, dass auch den Durchschnittsbürgern oder Normalverdienern der Zugang zu den Aktienmärkten erleichtert wird – und nicht nur Wohlhabenden. Mit der Vehikelklasse ETF gibt es hier eine tolle Möglichkeit, wie Menschen mit wenig Einkommen und geringer monatlicher Sparfähigkeit in Aktien investieren können.
Kostenarm, transparent, Risiko-optimal… hier zeigt sich eben eine Demokratisierung der Geldanlage. Die Aktienmärkte erzeugen weltweit eine nette Rendite – sagen wir: 8 bis 9 Prozent pro Jahr, über Jahrzehnte hinweg betrachtet – beim Durchschnittssparer kommt allerdings durch die Produkte nur ein Drittel oder weniger an.
Die verbleibenden zwei Drittel, die durch Vehikelkosten, Produkte, Versicherungen, teure Investmentfonds und ähnliches abgezogen werden, müssen dem “Normalsparer” zugänglich gemacht werden. Das nenne ich eine Demokratisierung der Aktienanlage!
Wir haben bereits die Themen Zinsen und Lobbyismus bei den Versicherungen angesprochen. Diesen Lobbyisten ist natürlich nicht daran gelegen, dass jede*r am Aktienmarkt in ETFs investiert und damit eine hohe Rendite für die Altersvorsorge erzielt. Kann man dies unter einen Hut bekommen: Versicherer auf der einen Seite und günstige Produkte mit hoher Rendite auf der anderen?
Auch hier muss ich wieder etwas sehr Uncharmantes sagen und ihren Zuschauer*innen raten: Vermeiden Sie diese teuren Produkte! Sie müssen erkennen, dass viele dieser Garantien Unsinn sind. Was haben Sie davon, wenn ich Ihnen garantiere, jederzeit Ihren Gebrauchtwagen abzukaufen – aber nur für 10 Euro?
Sie kriegen genau solche Garantien, die hinsichtlich der realen Kaufkraft nichts wert sind. Wir alle haben ein Sicherheitsstreben: wir wollen im Alter gerne etwas mehr von dieser Kaufkraft, wollen gerne ein bisschen extra haben…
Die Garantien, die man uns dafür verspricht, sind, wenn man es durchrechnet, in der Regel wertlos. Stattdessen werde ich mit ihnen das Opfer hoher Kosten und verzichte auf die Teilhabe an der Rendite von funktionierenden Finanzmärkten!
Dieser Preis ist in jeder Hinsicht zu hoch. Daher rate ich all ihren Zuschauern und Lesern: lassen Sie die Finger von solchen Produkten! Einen ETF-Sparplan halte ich zum Beispiel für ein gutes Investment; vom ETF-Sparplan im Versicherungsmantel muss ich Ihnen abraten!
Und das ist nicht nur meine Einstellung: Die Experten vom Bund der Versicherten, die größte Verbraucherschutzorganisation in diesem Bereich in Deutschland (45.000 Mitarbeiter), vertritt ebenfalls diese Meinung.
Der ETF-Riester, der im vergangenen Jahr während der Corona-Krise stark nach unten ging, wird ja mittlerweile, soweit ich weiß, überhaupt nicht mehr angeboten?
Auch da zeigt sich wieder: Hätten Sie in einen ETF-Sparvertrag investiert und einfach die Füße stillgehalten – einfach in den Garten gehen, Grünschnitt machen und die Nachrichten ausblenden – wären Sie kräftig im Plus.
Durch die Kapitalgarantie des Vehikels kam jedoch das aus. Wer solche Freunde hat, wie diese Versicherer, braucht wahrlich keine Feinde mehr…
Die Überarbeitung der Rente taucht in nahezu allen Wahlprogrammen auf und ich habe das Gefühl, wirklich Gedanken zu diesem Thema hat sich nur die FDP mit ihrer sogenannten “Aktienrente” gemacht. Diese soll nach dem schwedischen Modell eingeführt werden – wäre das für Deutschland tatsächlich eine Lösung oder gibt es hier noch andere Möglichkeiten?
Es gibt mit Sicherheit noch andere Optionen. Wir haben hier einen Baukasten, bei dem wir von einem Vorbild eine Plaupause nehmen, von einem anderen Vorbild eine Plaupause und diese nach Bedarf zusammensetzen können.
Die sogenannte “Schwedenrente” war schon bei der Einführung von Riester eine gute Plaupause, die man schon vor der Riester-Einführung 1zu1 hätte übernehmen können. Wir hätten eine Menge Steuergelder – meiner Kenntnis nach geben wir etwa 3 Milliarden für die Riester-Förderung aus – sparen können.
Wir fördern ein völlig ineffizientes Produkte und geben anschließend noch vielen Staatsbediensteten Arbeit, die die zusätzliche Bürokratie, wie die Einhaltung der Förderrichtlinien, überprüfen müssen. Die Kosten hierfür sind in den 3 Milliarden gar nicht enthalten. Man ist hier völlig vor der Lobby eingeknickt.
Aber diese Lobby verschwindet ja nicht von heute auf morgen. Im September, nach der Wahl, wenn die neue Bundesregierung steht, dann werden sie wieder versuchen, ihre Produkte unterzubringen. Gehen Sie davon aus, dass die Finanz-Lobby wieder versuchen wird, irgendwelche Versicherungen unters Volk zu bringen oder wird es diesmal nicht passieren?
Prinzipiell sollte man die Versicherungslobby nicht unterschätzen. Natürlich sind die hervorragend etabliert und spenden an alle Parteien. Ich war vergangene Woche in Berlin; vom GdV, dem Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft, zum Bundesministerium für Finanzen, müssen Sie einmal quer über die Straße gehen – von einem Haupteingang zum anderen. Es sind wirklich kurze Wege…
Auch nach vielen unerfreulichen Erfahrungen bleibe ich aber Optimist, denn nichts ist so schlecht, dass es nicht noch für etwas Gutes nutzen könnte: Die Nullzinspolitik und das beschriebene Dilemma zeigt jetzt wirklich der Masse der Bevölkerung – also auch die Leute, die nicht die Wirtschaftspresse verfolgen – das da etwas völlig krank ist.
Bei hohen Kapitalmarktrenditen kann ich hohe Kosten noch gut verstecken und kann sagen: “Mensch, du hast hier ja noch etwas herausgekriegt!”. Wenn allerdings immer mehr Verträge fällig werden, bei denen dies nicht mehr der Fall ist und die Leute weniger erhalten, als sie eingezahlt haben, dann werden diese Menschen schon politisch Druck machen. Insofern bleibe ich optimistisch, dass sich jetzt etwas tut.
Gerade die großen Volksparteien CDU/CSU und SPD haben ja sehr viele ältere Wähler. Diese interessieren sich nicht für das Thema Altersvorsorge – sie bekommen ihre Rente ja schon und diese ist ja für die nächsten 10 bis 15 Jahre oder auch mehr gesichert. Aber wenn ich, oder viele jüngere Leserinnen und Leser in Rente gehen, haben wir davon natürlich nichts. Ist das nicht auch ein Problem?
Ja, das sehe ich auch so. Je jünger Menschen in unserer Gesellschaft sind, desto gravierender wird sich wahrscheinlich dieses Rentenproblem auswirken. Deswegen bin ich immer völlig fasziniert, dass sich meine Studierenden für dieses Thema gar nicht interessieren.
Das Positive ist wiederum, dass wenn sie es einmal verstanden haben, ihnen deutlich größere Reaktionszeiten bleiben. So rechne ich dann meinen jüngeren Studierenden aus, das sie bei einem renditeintensiven, völlig ungeförderten ETF-Sparplan nur wenige Euros investieren müssen.
Wenn sie über 40 oder 50 Jahre dabeibleiben, dann können sie die vielen Rückschläge auf dem Weg gelassen nehmen. Ohne jede Förderung erreichen sie hier das zwei- bis dreifache Kapital beim Renteneintritt.
Haben Sie denn, aus Ihrer Sicht, noch eine andere, zukunftssichere Lösung für die deutsche Rente?
Ich möchte für die deutsche Rente erst einmal eine Lanze brechen. Die deutsche Rentenversicherung ist viel besser als ihr Ruf und hat die letzten Jahrzehnte gut funktioniert und trotz aller schlechten Nachrichten, Beitragserhöhungen etc. kann sich der Rentenanstieg sehen lassen. Auch, wenn wir als Folge der Corona-Krise ein Jahr die Steigerung aussetzen mussten, haben wir generell eine kräftige Rentenkasse.
Für Menschen, die Sicherheit über alles schätzen und ein höheres, sicheres Alterseinkommen haben möchten, ist eine freiwillige Einzahlung in die deutsche Rente, allen Unkenrufen zum Trotz, aus meiner Sicht die beste Lösung.
Denn wenn wir eine ganz dramatische Crash-Situation erleben, wird es auch den Privatversicherern an den Kragen gehen. Es ist bereits gesetzlich geregelt, wie diese in einer solchen Situation ihre Leistungen herunterfahren dürfen.
Ich glaube, dass die gesetzliche Rente in extremen Krisensituationen deutlich stabiler ist als eine private. Bei privaten Rentenversicherungen erhalten Sie in den allermeisten Fällen eine konstante Zahlung, während die gesetzliche Rente eben steigt. Das heißt: wenn ich in der Situation wäre, oder auch wenn ich Mitmenschen mit dieser Sorge habe, die noch eine sichere Rentenerhöhung wollen, sage ich: geh’ zum Rentenberater der deutschen Rentenversicherung!
Lassen Sie sich einen Termin geben, informiere Sie sich, was sie mit freiwilligen Zuzahlungen machen können, um ihre Altersrente zu erhöhen. Das mag vielleicht überraschend sein, aber für alle völlig risikoaverse Menschen ist dies ein sehr guter Tipp.
Um unser Rentensystem sicherer zu machen, gäbe es eine Reihe von Möglichkeiten, die aber alle nicht sonderlich beliebt sind: Warum sind zum Beispiel Freiberufler oder Beamte nicht bei der Rente dabei?
Ich bin selbst Beamter und schäme mich an diesem Punkt ein bisschen. Dieses Privileg hätte ich mir nie selbst erstritten, aber ich habe es nun. Andere Beamte und Freiberufler werden diesen Status nicht freiwillig aufgeben, aber man könnte zum Beispiel alle Neuzugänge in diese Riege von nun an zu Kunden der gesetzlichen Rentenversicherung machen.
Dadurch hätten wir eine Verbreitung der Beitragszahlerbasis. Diese Idee ist natürlich nicht von mir, die haben schon viele andere gehabt; leider scheitern solche Vorhaben wieder an den verschiedenen Interessen.
Es wird dann interessant zu sehen, wie sich das Thema Rente nach der Wahl entwickeln wird und ob die Aktienrente wirklich eine Mehrheit bekommt. Ich bin hier sehr gespannt – besonders auf die Umsetzung.
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