Raus aus dem Stundenlohn und rein in den Reichtum? (Buchrezension)

Wer kennt es nicht: der Chef nervt, der Job war auch schonmal besser und eigentlich würde man viel lieber etwas machen, was zu den eigenen Vorlieben passt. Wie man aus dem ungeliebten Stundenlohn-Hamsterrad rauskommt, soll der Spiegel-Bestseller „Raus aus dem Stundenlohn“ anschaulich zeigen. Aber ist das auch realistisch und umsetzbar oder eher eine Luftnummer?

Überblick Raus aus dem Stundenlohn

Es ist schon einige Jahre her als ich richtig unzufrieden mit meinem Angestelltenjob war. Statt vor einem Burnout stand ich knapp vor einem Boreout. Mein Arbeitgeber war kurz zuvor von einem größeren Unternehmen übernommen worden. Diese hatten vorher schon eine eigene Marketingabteilung, so dass ich quasi von heute auf morgen nichts mehr zu tun hatte und auch nicht in die Prozesse involviert wurde. Die 400 Kilometer Entfernung zu den Marketingkollegen taten ihr übriges. Kurz zusammengefasst: Ich war mit der Gesamtsituation nicht zufrieden.

In genau diese Phase startete ich mit dem Finanzrocker-Blog und einige Monate später mit dem Finanzrocker-Podcast. Hier konnte ich die Kreativität und Leidenschaft ausleben, für die im Hauptjob kein Platz war. Es war nie geplant, damit Geld zu verdienen oder mich in irgendeiner Art und Weise selbstständig zu machen.

Als ich dann wenige Monate nach dem Start die ersten Zweitausend Euro dank eines Preisgelds verdient hatte, dachte ich das erste Mal darüber nach, wie es wäre, wenn ich mein Hobby zum Beruf machen könnte. Also raus aus dem so langweiligen Stundenlohn und nie wieder wertvolle Lebenszeit für unsinnige Aufgaben verkaufen. Zu der Zeit war ich – ehrlich gesagt – die absolute Zielgruppe von „Raus aus dem Stundenlohn“.

Weiterhin angestellt oder selbstständig?

Dieser Wunsch wurde monatlich immer größer und so kündigte ich Anfang 2016 dann meinen Job. Ohne einen neuen Job in Aussicht zu haben oder genügend Geld mit meinem Hobby zu verdienen. Auf den ersten Blick eine ziemlich dumme Entscheidung. Aber auf den zweiten Blick war es damals das Beste, was ich machen konnte. Jetzt stand ich vor der Frage: Selbstständig machen oder weiter an der Karriere schrauben und noch einen Job annehmen? In so einer Situation ist man ein willkommenes Opfer für die Heerscharen an Internet-Abzockern, die wirklich überall lauern.

Ich entschied mich für den Angestellten-Job. Im Nachhinein entpuppte es sich auch als die richtige Entscheidung. So konnte ich über die Jahre noch einige wichtige Erfahrungen sammeln und parallel am eigenen nebenberuflichen Business arbeiten. Das wuchs immer mehr an, so dass ich mich 2019 erst in die Teilzeit und 2020 dann endlich komplett verabschieden konnte. Mit 40 Jahren ging ich einen komplett neuen Weg und endlich raus aus dem normalen Angestelltenverhältnis und raus aus dem Stundenlohn. Aber ist das wirklich so toll, wie immer behauptet wird?

Wie geht es raus aus dem Stundenlohn?

Und damit bin ich jetzt endlich beim Buch „Raus aus dem Stundenlohn“ von Prof. Dr. Oliver Pott und Jan Bargfrede. Der knackige Titel in Verbindung mit dem aggressiven und meinungsstarken Coverbildchen verheißt auf jeden Fall schon mal Großes. Leider war es am Ende für mich eher eine große Enttäuschung als eine große Erweckung. Und entscheidend für dieses vorweggenommene Fazit waren in erster Linie meine eigenen Erfahrungen und auch meine Einblicke in die Network-Marketing-Schaumschläger-Szene.

Grundsätzlich hat das Buch eine gute Hinführung zum Thema und stellt auch einige richtige Thesen auf. Aber die Schlussfolgerungen passen einfach nicht dazu und vieles bleibt deutlich zu oberflächlich. Für mich als Leser gab es zu viel Theorie, zu viel Schaum und zu wenige konkrete Tipps.

Dazu kommen dann immer wieder Werbekästen über angebliche Macher, die es ganz einfach geschafft haben. Aus dem Stundenlohn zum Millionär. Ok, die vorgestellten Leute haben es wirklich irgendwie geschafft, aber das „Wie“ ist zumindest für mich entscheidend.

Über Schaufelverkäufer und die große Blase

Nahezu alle der erwähnten Personen gehören zu einer großen Network-Marketing-Blase, in der sie sich alle gegenseitig vermarkten, den schnellen Reichtum durch wenig Arbeit versprechen und sich mögliche Neukunden mit fragwürdigen Up- und Querselling-Systemen hin und herschieben.

Wenn dann noch im Klappentext steht „In ihm begegnen Sie ganz normalen Menschen, die diesen Weg gegangen sind und heute in großer Zufriedenheit und Unabhängigkeit leben“ und man schaut sich die Personen und deren Verbandelung untereinander mal genauer an, passt da so einiges nicht. Aus meiner Sicht ist das der völlig falsche Schritt, um raus aus dem Stundenlohn oder dem Hamsterrad zu kommen. Reich werden da immer nur die Schaufelverkäufer und nicht die Käufer des Equipments.

Wenn so ein Buch auch noch ein Spiegel-Bestseller wird und diesen Leuten ein noch größeres Forum bietet, finde ich persönlich das ziemlich fragwürdig.

Von Zielen und unglücklichen Angestellten

Aber der Reihe nach. Das Buch startet zunächst mit dem Kapitel Ziele und dass wir ja für unsere persönlichen Ziele arbeiten sollten und nicht für die Ziele anderer. Wer das nicht macht, wird laut den Autoren schnell unglücklich. Ehrlich gesagt habe ich grundsätzlich kein Problem damit, für die Ziele von Unternehmen zu arbeiten und mein Bestes zu geben. Dafür werde ich schließlich bezahlt. Meistens sind aber da die Begleitumstände nicht so, wie ich sie mir gewünscht habe (siehe oben).

Wenn ein Kapitel dann die Überschrift trägt „Angestellte sind unglücklich, Selbstständige sind glücklich“ und wir uns sehr viele (Solo-)Selbstständige in der Corona-Krise anschauen, klingt das schon ziemlich nach blankem Hohn.

Auch wenn im Kapitel versucht wird, anhand von Statistiken diese steile These zu untermauern, funktioniert es einfach nicht. Denn die Statistiken stammen alle aus einer Zeit vor Corona. Aus einer Zeit in der Selbstständige im Tourismus-, Kultur- oder auch Sportbereich gut verdient und viel zu tun hatten. Ein Buch, das während der Krise geschrieben wurde, hätte das nicht verallgemeinern sollen.

Aber die Quintessenz die am Ende des Buches rauskommt, lautet ja: „Wie Sie dank Internet mit minimalem Kapital und geringem Aufwand maximale Reichweite erzielen“ (Klappentext). So etwas geht aber meistens nur in den eigenen Träumen oder es klingt wie die Versprechungen von den eben erwähnten Schaufelverkäufern. Kein Mensch wird mit geringem Aufwand zum reichen Macker!

Stundenlohn und Leidenschaft

Die folgenden Kapitel beschäftigen sich dann ausführlich mit dem Thema Stundenlohn und warum Stundenlohn-Arbeit krank macht. Unter Umständen kann das im Burnout oder wie bei mir im Boreout enden. Darüber hinaus wird hier betont, dass sich auch Solo-Selbstständige für ihren Stundenlohn verkaufen. Das ist völlig richtig, ist aber per se nicht falsch. Auch als Solo-Selbstständiger kann ich trotzdem viel Spaß an der Arbeit haben und mit Leidenschaft dabei sein. Mir ist das Ganze schlichtweg viel zu einseitig hergeleitet worden.

Danach folgt ein ausführliches Kapitel zur größten Leidenschaft, die zu einem Business führen kann. Auch ich habe mich vor sechs Jahren von meiner Leidenschaft und Neugier leiten lassen, aber es lässt sich einfach nicht so vereinfachen wie es in dem Buch dargestellt wird.

Dieses Kapitel hat mir persönlich noch am besten gefallen, weil hier einige wirklich wichtige Denkanstöße zu Themen wie New Work, Mut und „was wir von der Generation Z lernen können“ geboten werden.

„Die typischen Generations Zs binden sich daher weniger stark an ein Unternehmen oder an einen Job. Und sie sind digital unterwegs, lassen sich vielfach inspirieren und zeigen eine bemerkenswerte Neugier auf neue Entwicklungen. Das ist sicherlich eine Stärke“ (Seite 84)

Die Frage, die wir uns jetzt generell stellen müssen, ist die nach der Post-Corona-Arbeitswelt. Für alle wird es eine Umstellung. Die GenZ wird mit dieser Entwicklung besser umgehen können als die GenY oder die Babyboomer. Zu schreiben „Stundenlohn ist immer doof und skalierbare Produkte sind das Nonplusultra“ ist jedoch für mich viel zu einseitig und kurz gegriffen.

Der ganz große Wurf

Im Anschluß geht es dann um das nebenberufliche Business und den tollen Selfmade-Job. Grundsätzlich ist es auf den ersten Blick alles richtig, was da steht. Aber dann beginnen die zahlreichen Beispiele aus der Welt der Schneeballsysteme.

Diese Menschen versprechen dann oft den ganz einfachen Reichtum mit ach so tollen Infoprodukten. Es ist dafür nur ein Laptop nötig – und ein völlig überteuertes PDF oder ein exklusiver Videokurs für mehrere Hundert Euro. Danach ist man in den Upselling- und Querselling-Filtern gefangen und kommt da nicht mehr so einfach raus.

Das sind also genau die Hanseln, die man bei YouTube nicht schnell genug wegdrücken kann, weil sie 100 % sichere Tradingsysteme, Amazon-FBA-Geheimnisse, dicke Schwengelmeter-Autos, schnellen Reichtum oder geheime Wasserstoff-Aktien versprechen.

Und wenn das die Quintessenz eines Buches ist, das oft viele gute Ansätze, Thesen und Herleitungen hat, ist es dann doch viel zu wenig. Am Ende kommt leider viel heiße Luft bei raus und gerade bei den letzten Kapiteln musste ich mich mit geballter Faust zum Weiterlesen zwingen.

Fazit: Falsche Beispiele mit viel heißer Luft

In den sechs Jahren nebenberuflicher und dann kompletter Selbstständigkeit habe ich sehr, sehr viele Menschen aus unterschiedlichen Bereichen kennengelernt. Teilweise haben sie sich mit wirklich tollen Geschäftsideen selbstständig gemacht. Da ist auch viel Erfahrung und wirkliches Fachwissen vorhanden. Solche Leute hätte ich mir perfekt zur Untermauerung der Thesen vorstellen können. Da steckt aber zu viel Aufwand und ein hoher initialer Einsatz dahinter. Leider lässt sich so etwas schlecht vermarkten.

Aber doch nicht die „Heiße-Luft-Prediger für viel Geld“, die ich leider auch schon des öfteren kennenlernen durfte. Häufig genügt da schon ein Blick auf die Seite, um zu sehen, was da verkauft wird.

Wenn ich im Job unzufrieden bin und das Buch mit dem markanten Titel und Cover irgendwo im Buchhandel oder bei Amazon sehe, habe ich auch gewisse Erwartungen an den Inhalt. Die werden aber nur teilweise erfüllt.

Und wenn ich mich dann darüber hinaus über die genannten Beispiele informieren will und mir werden dann auf den Webseiten geheime Strategien á la „200 Euro am Tag nur mit dem Laptop oder Handy erzielen“ für 497 Euro versprochen (kein Scherz!!! Webseite eines Beispiels aus dem Buch), wird es problematisch. Zumindest dann, wenn ich nicht weiß, was dahinter steckt. Leider fallen immer noch viel zu viele Menschen auf diesen „Schnell reich mit wenig Arbeit“-Scheiß rein.

Kurzes Fazit zum Buch: Einige interessante Thesen und Denkanstöße, aber am Ende viel zu oberflächlich und keine wirklich neuen Erkenntnisse. Die schlecht gewählten Beispiele kommen noch dazu. Ehrlich gesagt verlange ich von einem Spiegel-Bestseller-Buch dann doch deutlich mehr als dieses luftige Ergebnis.

Um die Klammer der Selbstständigkeit zu schließen: Nein, Selbstständigkeit kann man nicht pauschal als besser bezeichnen. Es ist anders und es ist auch entspannter, aber man muss sich auch selbst immer wieder motivieren. Alles hat seine eigenen Vor- und Nachteile. Außerdem vermisst man die Vorzüge von festen Gehältern im Angestelltenverhältnis und natürlich auch den persönlichen Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen.

Ich würde auch keinem jetzt empfehlen ganz einfach einen Blog und Podcast ins Leben zu rufen, nur weil es bei mir und einigen anderen mit viel Glück und harter Arbeit geklappt hat. Aber ich will damit auch keine überteuerten Infoprodukte verkaufen und das Märchen von wenig Arbeit und viel Ertrag weiter in die Welt raustragen.

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3 Antworten

  1. Danke Daniel für die ehrliche Buchrezension – überrascht hat mich dein Fazit nicht, ich kenne deine Meinung zur Schaumschläger Gilde 🙂
    Mich nerven diese vielen „Dein Blog (heute ja eher Podcast) als (Side-) Business“ Coaching/Seminare/Kurse & Ebooks auch ziemlich. Da wird suggeriert mit wenig Einsatz kann man sich schnell ein neues Standbein oder gar alternatives Gewerbe aufbauen und wie du so schön schreibst den Erfolg hat der Anbieter oft nicht durch genau so ein Produkt vorzuweisen (wie auch das kostet eben idR. irre viel Zeit und Energie da bleibt keine mehr über für Schaumschläger Seminare), sondern durch den Verkauf der Schaufel mit der man sich den Weg ins Glück graben kann am besten im Einzelcoaching …!

  2. Danke Daniel, wieder ein Buch, welches ich nicht lesen brauche 😉

    Ein Spiegel-Bestseller-Buch heisst ja nicht, dass es wertvoll/hilfreich/weiterbringend ist.
    Es heisst nur: viele haben es gekauft. Damit hat es einen Nerv/Erwartungshaltung bei den Kaeufern getroffen: Vielleicht den Traum vom erfuellten, gluecklichen, besseren Leben als nichtmehr Angestellter?

    Schliesslich ist: was wir tun, wieviel wir haben, nur eine Kruecke (oder weniger wertend:) „Teilaspekte“ eines gluecklichen Lebens.

    Fuer die meisten sind wohl gute Beziehungen ausschlaggebend und letztlich am wichtigsten (zu Gott, zu Menschen). Die Loesung steckt eher in den inneren Haltungen als in den aeusseren Umstaenden?

    LG Joerg

  3. Ein sehr ehrliches Feedback und schön zu lesen, dass es eben nicht so einfach ist, einfach nur einen Crashkurs für 500 € (statt 3.000 € – Aktion nur heute!) zu kaufen um dann mit seinem Blog loszulegen und erfolgreich zu sein. Schade, dass sich ein Buch nun der gleichen Masche bedient. Umso besser, dass du das hier entlarvst.

    Beste Grüße
    Marcel

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