Social Lending ist eines der großen In-Themen der Fintech-Szene. Seit 2008 gab es auch in Deutschland die ersten P2P-Kreditmarktplätze, die Privatkredite vermittelten. Um einen noch besseren Einblick in das Thema zu erhalten, habe ich ein Interview mit Claus Lehmann geführt, der von Anfang an in der Peer2Peer-Szene dabei ist.
Überblick P2P-Kreditmarkt
Dieses Interview ist sehr lang geworden, weshalb ich es in zwei Teile gesplittet habe: einen allgemeinen und einen spezifischen Anbieter-Teil inklusive der Risiken und Steuergeschichten. Hier kann jeder Leser einige neue Infos mitnehmen, weil das Wissen von Claus Lehmann richtig umfassend ist.
Falls Du Dir vor dem Lesen einen Überblick über Social Lending verschaffen möchtest, kannst Du das in diesem Gastartikel tun.
Jetzt aber erstmal viel Spaß beim Lesen des neuen Artikels. Teil 2 wird kommende Woche veröffentlicht.
Claus, vielleicht möchtest Du Dich den Lesern einmal kurz vorstellen.
Gerne. Mein Name ist Claus Lehmann und ich betreibe die Blogs P2P-Kredite.com und P2P-Banking.com. Ich habe einen Internet-Marketing Background und mich faszinieren disruptive Ideen, die das Potential haben, ganze Branchen zu verändern.
Was steckt hinter Deiner Webseite P2P-Kredite und was kann ich mir darunter vorstellen?
Anlageprodukte von Banken wie Tagesgeld oder Festgeld werden derzeit nur sehr niedrig verzinst. Wer allerdings einen Kredit von seiner Bank möchte, zahlt je nach Bonität einen deutlich höheren Zinssatz und falls es sich um einen Dispositionskredit handelt, sind sogar Zinssätze von über 10% üblich.
Die Bank agiert als Intermediär zwischen Anlegern und Kreditnehmern und lässt sich diese Leistung unter anderem durch die Spanne zwischen den beiden Zinssätzen bezahlen. Dafür trägt sie das Kreditausfallrisiko, wenn der Kreditnehmer den Kredit nicht zurückzahlen kann oder will.
Seit einigen Jahren bieten P2P-Kreditmarktplätze einen effizienteren, schlankeren Weg an um Anleger und Kreditsuchende über das Internet zusammenzuführen. P2P-Kredit steht dabei für Peer-to-peer, was frei übersetzt „von einem direkt zum anderen“ bedeutet. Der Kreditsuchende stellt dabei ein Kreditgesuch auf dem Marktplatz ein, der Marktplatz prüft Identität, Bonität und weitere Angaben des Kreditsuchenden (wie z. B. Einkommen). Dabei werden in der Regel bereits 80-90 Prozent der Anfragen ausgesiebt. Die verbleibenden geeigneten Kreditgesuche werden dann von Anlegern gefüllt.
Meistens laufen die Kredite zwischen einem und fünf Jahren. Es handelt sich um Annuitätendarlehen, d.h. der Kreditnehmer zahlt jeden Monat eine gleich hohe Rate, die sich aus Tilgung und Zinsen zusammensetzt, zurück.
Die Marktplatz-Plattform kümmert sich dabei um die gesamte Abwicklung. Das heißt, sie zieht monatlich die Raten vom Kreditnehmer ein und schüttet die Zahlungen an die beteiligten Anleger aus. Zahlt der Kreditnehmer nicht, dann mahnt sie den Kreditnehmer und kümmert sich um das Inkasso.
Und wie bist Du zu diesem Thema gekommen?
Zu dem Thema kam ich ganz zufällig. Ich hatte Anfang 2006 den amerikanischen Marktplatz Prosper.com gesehen und der überzeugte mich durch meine Marketing-Brille. Familienvater sucht Kredit für ein Aufbaustudium und 27 ihm unbekannte Amerikaner geben ihm Kredit für einen günstigen Zinssatz – mit Foto und Geschichte. Was für eine Story! Ich wusste die Medien würden allein den Kontrast zur „Blackbox“ Bank lieben.
Marktdaten, ob dies ein dauerhaft tragfähiges Geschäftsmodell sein kann, gab es aber damals nicht. Und so begann ich zu recherchieren, Daten zusammenzutragen und zu analysieren. Über diese Analysen habe ich dann mit amerikanischen Prosper-Anlegern ausgetauscht und merkte schnell, dass ein Bedarf nach Informationen zu diesen Themen besteht und war überzeugt dass es auch bald Anbieter in Deutschland geben würde. Das Paradoxe war: Ohne Wohnsitz in den USA konnte ich selbst bei Prosper gar nicht anlegen.
Ich habe dann Januar 2007 P2P-Banking.com gestartet einen englischsprachigen Branchenblog und den deutschen Blog P2P-Kredite.com. Dort schildere ich meine Erfahrungen und meine Sicht zu den Entwicklungen. Im angegliederten P2P-Kredite Forum diskutieren mehr als 1.000 Anleger in mehr als 50.000 Beiträgen untereinander über Tipps, Strategien, Erfahrungen und Neuigkeiten.
Du hast ja schon 2007 mit Deiner Webseite angefangen. Wie hat sich der P2P-Markt seither entwickelt?
Der Markt war zu der Zeit selbst in den USA noch in den Kinderschuhen und ist 2007 in Deutschland erst gestartet. Es gab noch sehr wenige Marktplätze und da der Markt sehr neu war gab es noch keine Erfahrungswerte.
Seitdem ist der Markt explodiert. Hier eine Grafik für die Entwicklung der Kreditvolumina 2007-2014 am Beispiel Lending Club. Die Billions (Bn) sind übrigens Milliarden.
In UK und den USA wachsen die P2P-Kreditmärkte um 100-200 Prozent pro Jahr. Zopa hat in UK inzwischen einen Marktanteil von über 3% an allen unbesicherten Ratenkrediten. Das ist eine Größenordnung die auch die Banken schon als relevant wahrnehmen.
In Deutschland ist das Wachstum etwas moderater. Die deutsche Entwicklung liegt ca. 2-3 Jahre hinter UK und USA zurück.
Was waren aus Deiner Sicht Meilensteine im P2P-Bereich seither?
- Professionalisierung der Plattformen
Einige Plattformen haben über Jahre an allen Feinheiten gefeilt, um höchst effiziente Prozesse zu erreichen. Auch für Lending Club war es ein langer Weg vom Start bis zum Börsengang - Vereinfachung des Investmentprozesses
Viele Plattformen, die mit Unterbietungsauktionen angefangen haben, bei denen sich die Anleger gegenzeitig mit niedrigeren Zinssätzen unterbieten konnten, sind inzwischen auf von der Plattform festgesetzte Zinssätze umgeschwenkt. Dies verkürzt durch den Wegfall der Auktionsphase den benötigten Zeitraum bis zur Kreditvergabe und erhöht somit die Attraktivität für die Kreditnehmer und die Kreditnachfrage - Mehr Transparenz
Viele Marktplätze stellen inzwischen ihre gesamten Kreditdaten (loanbook) für Jedermann zum Download zur Verfügung, so dass jeder eigene Analysen anstellen kann. Erste europäische Plattformen experimentieren auch mit APIs, die es Anlegern ermöglichen werden, mit Hilfe von Tools ihre Anlagen zu automatisieren und zu monitoren. - Spezialisierte Marktplätze
Seit ca. 2010 gibt es zunehmend Marktplätze, die auf bestimmt Kreditformen spezialisiert sind, z.B. mit Immobilien besicherte Kredite. Im Falle eines Kreditausfalles wird die als Sicherheit dienende Immobilie verwertet (verkauft). - Andere Sicherheitsmechanismen
Ratesetter hat 2010 den Provision Fund eingeführt. Das ist eine Art Rücklage aus der Ausfälle kompensiert wird. Zwar ist das keine Versicherung gegen Ausfälle, aber bisher hat noch kein Ratesetter Anleger einen Penny verloren. Verschiedene britische Marktplätze haben dieses Modell übernommen.
Auf einigen baltischen Marktplätzen gibt es ‚Rückkaufgarantien‘ falls ein Kredit ausfällt. - Grenzüberschreitende Marktplätze (cross-border lending)
Einige Marktplätze bieten Anlegern die Möglichkeit in Kredite in verschiedenen europäischen Ländern anzulegen und so zu diversifizieren und die unterschiedlichen Zinsniveaus zu nutzen. Beispiele hierfür sind Bondora, Mintos oder Crosslend. - Förderung durch die britische Regierung
P2P Kredite sind inzwischen in UK steuerbegünstigt und der britische Staat nutzt einige Marktplätze selbst zur Kreditvergabe an Unternehmen. Ausserdem werden Banken, die kreditsuchende SMEs ablehnen, verpflichtet diese auf alternative Finanzierungsformen wie P2P Kredite zu verweisen.
In Deutschland gibt es leider keine vergleichbare Förderung.
Ab welchem Vermögen macht Social Lending Sinn? Reichen 1000 Euro aus oder ist das zu wenig?
Ich denke ab ca. 10.000 Euro. Natürlich kann ein Anleger auch 1.000 Euro anlegen. Aus meiner Sicht wichtig ist eine starke Diversifizierung. Also würde ich nicht 1.000 Euro in einen Kredit anlegen, sondern lieber je 10 Euro in 100 verschiedene Kredite.
Bei 1.000 Euro würde sich für mich der investierte Zeitaufwand nicht lohnen. Wenn ich mal 6% Rendite annehme, würde das nach einem Jahr 60 Euro Gewinn bedeuten. Dafür lohnt sich meines Erachtens die investierte Zeit nicht – ausser ich mache es mehr aus Interesse als ausschließlich wegen der Zinsen.
Eine Antwort
„Konsumschulden sollte man nicht machen, man sollte sie besitzen.“ (Gerald Hörhan)