Als mir der Finanzwesir vorschlug, eine Podcast-Folge über MiFID II zu machen, war meine Reaktion nicht wirklich enthusiastisch. Albert gab mir zwar Recht, aber hielt es für unsere Chronistenpflicht darüber zu berichten. Nachdem er MiFID ein bisschen beschnuppert hatte, stellte er fest: Die MiFID II-Richtlinie ist Game of Thrones pur und viel interessanter als der ganze 2018er-Steuerkram, über den sich alle das Maul zerrissen haben. Vorhang auf für eine Folge über Lehman-Omas, eigenverantwortliche Anleger und künftigen Telefonterror bei der Direktbank.
Im Vorfeld der Podcast-Episode ging der Finanzwesir auf fleißige Recherchetour. Er führte Hintergrundgespräche mit
- einem ETF-Anbieter
- einem Robo-Advisor
- einer Direktbank/-broker
- der BaFin höchstselbst
Damit hat er die wichtigsten Akteure gehört.
Ach wirklich? Und was ist mit den Filialbanken, den AWDs und MLPs dieser Welt?
Er präzisiert: „Damit habe ich die auch zukünftig wichtigsten Akteure gehört.“ Mehr dazu im Folgenden.
Inhalt
Was ist MiFID?
MiFID steht für „Markets in Financial Instruments Directive“, also Finanzmarktrichtlinie. MiFID I trat 2007 in Kraft. Die Existenz von der MiFID II-Richtlinie ist seit 2014 bekannt. Wirksam wurde die Richtlinie am 3. Januar 2018.
MiFID ist eine Richtlinie. Richtlinie bedeutet: Die EU gibt die Leitplanken vor, die Länder dürfen bei der Umsetzung nationale Eigenheiten berücksichtigen. Dann gibt es noch Verordnungen. Eine Verordnung ist unmittelbar anzuwenden. Hier gibt es keine Spielräume.
Exkurs BaFin
Wer erinnert sich noch an den Gemeinschaftskundeunterricht als die Gewaltenteilung besprochen wurde? Legislative, Exekutive, Judikative. Die BaFin gehört zur Exekutive. Sie setzt das um, was die Legislative ihr vorgibt. MiFID II ist ein Ergebnis der europäischen Gesetzgebung. Das kriegt die BaFin auf den Tisch und muss es in Handlungsanweisungen übersetzen.
Was ich nicht wusste: Die BaFin verlässt den Schreibtisch. Wenn wir uns als Bürger und Anleger bei der BaFin beschweren und die Beschwerde berechtigt und nicht bloß Querulantentum ist, dann statten die BaFin-Agents der entsprechenden Bank einen Hausbesuch ab.
Die zwei von der BaFin lassen sich alles ganz genau erklären. Verarschen kann man sie auch schwer, weil sie ausgebildete Financial Planner sind, die die Lizenz zur Beratung haben.
Wie entstand MiFID II
MiFID II ist ein Kind der Subprime-Krise. 2008 und 2009 standen die Lehman-Omas mit ihren Beschwerden Schlange vor der BaFin. Dazu kam eine rasante technische Entwicklung (Algo- und Hochfrequenztrading).
Was tun?
Den Reality-Check machen.
Alle MiFIDs haben Wartungsintervalle. Bei der Verabschiedung der Richtlinie wird schon festgelegt das ihre Wirksamkeit in der Praxis nach einer gewissen Zeit überprüft wird. Dieses iterative Vorgehen wird uns dann in den zwanziger Jahren MiFID III bringen.
In den Subprime-Jahren wurde MiFID I aufgebockt und die Prüfer sahen, dass nicht alles gut war.
- MiFID I war zu sehr Richtlinie und zu wenig Verordnung.
- MiFID I regulierte die Produkte, nicht aber den Vertrieb. Das, was die Finanzindustrie in den Hinterzimmern zusammenkochte, durfte der Vertrieb vorne den Lehmännern und -frauen einschenken („Vielleicht noch einen Keks dazu?“).
- Technisch war MiFID I auch schon ein bisschen angestaubt (nix Algo-Trading).
Was bedeutet MIFID II für mich als Anleger?
Für uns Privatanleger sind zum Glück nur diese fünf Bereiche relevant.
- Kostentransparenz
- Zuwendungen
- Product Governance
- Geeignetheitsprüfung, Zielmarktdefinition
- Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten
Bevor wir uns im Klein-Klein der operativen Details verlieren. Lassen Sie uns die Feuerzangenbowle-Perspektive einnehmen: „Also, wat is en MiFID? Da stelle mehr uns janz dumm.“
MiFID II ist der Gamechanger. MiFID II beendet den Kostenblindflug des Privatanlegers. Selbständig und mündig entscheiden? Klar, aber wie, wenn ich die Zahlen nicht habe?
MiFID II liefert erstmals
- die richtigen Kennzahlen und macht diese
- vergleichbar.
Diese Zahlen sind so aufbereitet, dass man damit sinnvoll arbeiten kann. Steuerung nach Kennzahlen, das ist jetzt nichts wirklich skandalös Neues. Leider braucht es einen Büttel wie die BaFin um diese Zahlen beizutreiben.
Kostentransparenz
Erstmals müssen die Kosten komplett über den ganzen Prozess offengelegt werden.
- Alle Kosten, die sich exakt angeben lassen müssen auch exakt angegeben werden. Egal, wie sehr die IT jammert.
- Kosten, die nicht exakt angegeben werden können, müssen nach bestem Wissen und Gewissen geschätzt werden. Beispielsweise mit einer begründeten Rechnung basierend auf historischen Zahlen.
Am Jahresende liefert Ihnen der Broker dann die echten Kosten für das abgelaufene Jahr.
Apropos Jahresende: Kaufen Sie rechtzeitig Diageo-Aktien (Bacardi, Johnnie Walker und Smirnoff). 2018 / 2019 bekommen die Besitzer von Altbeständen erstmals die komplette Kostenbilanz. Da werden viele Leute viele Schnäpse brauchen.
Der IT-Kram lässt sich lösen. Das wirkliche Problem für die Finanzbranche ist der radikale Kulturwandel. Eine Branche, für die jahrelang Ostern war (versteck‘ die Provision) soll auf einmal an den FKK-Strand.
Zuwendungen
Retrozessionen, Vertriebsfolgeprovisionen oder Bestandspflege sind grundsätzlich verboten. Einzige Konzession an die Filialbank-Lobby: Zuwendungen dürfen angenommen werden, wenn sie „der Verbesserung der Beratung dienen“. Diese Regelung ist allerdings ziemlich weit gefasst. Die Sparkassen werden versuchen so lange wie möglich an ihrem Geschäftsmodell festzuhalten.
Product Governance
Unter MiFID II werden Produkte nach Prinzipien entwickelt, wie man sie auch aus der Pharmaforschung kennt.
- Welches Problem des Kunden soll das Produkt lösen?
- Welche Nebenwirkungen (Risiken) gibt es?
- Für wen ist das Produkt gedacht?
Es mag keine klinischen und vorklinischen Studien geben, aber das ganze Prozess wird von viel Qualitätssicherung begleitet.
Die Spielchen der klassischen Fondsbranche gehören damit der Vergangenheit an. Es lohnt sich nicht mehr, alle zwei Jahre einen neuen Fonds auf den Markt zu werfen, der dann vom Vertrieb mit Bestandskunden gefüllt wird. Oder man verschmilzt den alten Low-Performer mit dem neuen Shootingstar. Dann hat man das miese Morningstar-Ranking gleich mit erledigt.
Zielmarktdefinition
Die Geeignetheitsprüfung ist bereits bekannt. Neu hinzugekommen ist die Zielmarktdefinition. Zielmarkt?
Ja, der Zielmarkt, das sind Sie.
- Der Produktentwickler gibt einen Zielmarkt vor. Das hier ist ein Produkt für den risikoaffinen Anleger mit langem Zeithorizont und einer hohen Sparrate.
- Ihre Bank klassifiziert Sie und steckt Sie in eine Schublade. Diese Schublade lässt sich 10 Zentimeter weit aufziehen.
- Tagesgeld ist 3 Zentimeter breit, ETFs und Large Caps 5 bis 7 Zentimeter und Small Caps haben eine Breite von 10 Zentimeter. Derivate sind 11 bis 40 Zentimeter breit.
Die Bank kann Tagesgeld, ETFs und Aktien in die Schublade stopfen, Derivate nicht. Zielmärkte oberhalb Ihrer „Gehaltsklasse“ sind tabu.
Bedeutet natürlich auch; wenn Du arm und ungebildet bist, gibt’s nur Tagesgeld.
Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten
Jedes Telefonat wird mitgeschnitten und fünf, maximal sieben Jahre aufbewahrt.
Echte Transaktionskosten werden beim ETF aus der Mangementgebühr bezahlt, bei aktiven Fonds oft aus der Vermögenssubstanz.
Für Indexfonds sind die impliziten Transaktionskosten geradezu blödsinnig. Man will beim Rebalancing zum Schlusskurs des Index handeln. Das ist ein Feature, kein Bug. Also ist es egal, ob man die Order um 17:29:59 Uhr (17:30 Uhr Xetra-Schluß für DAX-Rebalancing) oder um 9:00 Uhr morgens ins System stellt.
Fazit
Ist MiFID II nun gut oder schlecht? Das Fazit des Finanzwesirs bietet zwei Alternativen.
Bewertung 1
MiFID II ist ein Bürokratiemonster, das seinen Zweck nie erfüllen wird. Solange jeden Tag ein neuer Dummer aufsteht, werden die Banken einen Weg finden den auszubeuten. Egal wie viel die BaFin reguliert.
Ziel muss es sein den Nachschub an Kanonenfutter zu unterbinden. Hier sind wir Finanzblogger gefragt. Aufklärung tut not. Finanzielle Bildung ist für jedermann preiswert erhältlich. Wer keine Lust auf finanzielle Bildung hat, bleibt als Kollateralschaden am Wegesrand zurück.
Bewertung 2
Nie wieder Lehmann-Oma! Der Mensch ist schwach und es ist unrealistisch, dass sich jemals eine nennenswerte Zahl an Menschen mit finanzieller Bildung beschäftigen wird.
Deshalb ist MiFID II wertvoll. Es schützt den unbedarften Anleger. Der Kollateralschaden sind die paar 10.000 DIY-Finance-Nerds. Industrialisierung bedeutet immer auch, dass individuelles Fachwissen nutzlos wird. Vielleicht ist es volkswirtschaftlich besser, wenn hunderttausende von Anlegern eine kostengünstige Altersvorsorge von der Stange bekommen und zehntausende von Selbstentscheidern schmollen, weil es für ihre Papiere keine Zielmarktdefinition gibt.
Die ausführliche Zusammenfassung vom Finanzwesir findest Du hier.
Du findest den Podcast über die MIFID II-Richtlinie hier:
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4 Antworten
Vielen Dank für den Beitrag. Kein alltägliches Thema und daher eine interessante „Abwechslung“.
Viele Grüße
Marcel
Danke für eure Recherchearbeit zu diesem undurchsichtigen Thema und sehr unterhaltsame Podcastfolge!
Viele Grüße
Franck
Der Podcast ist super. Vielen Dank!
Eine Bitte: Ich würde gern die MiFID II-Folge (54) hören!
Leider ist hier auf dieser Seite fälschlicherweise die Folge 55 abgelegt.
Vielen Dank für Deinen Hinweis. Habe ich gefixt. Du findest den Podcast aber auch auf vielen unterschiedlichen Plattformen (Tunein, Spotify, iTunes). Darüber kannst Du alle Folgen finden.
Viele Grüße
Daniel