Auch wenn man es kaum glauben mag: Neben dem Corona-Virus gab es 2020 auch noch andere Themen, die die Medien kurzzeitig beherrscht haben. Eins dieser Themen war der unfassbare Bilanzskandal beim DAX-Konzern Wirecard. Jetzt gibt es mit „Die Wirecard-Story – Die Geschichte einer Milliarden-Lüge“ das erste Buch zum Skandal. Ob es sich zu lesen lohnt, erfährst du in diesem Artikel.
Inhalt
Überblick Die Wirecard-Story
Erinnerst du dich noch an deine ersten Gedanken, die du hattest als die Meldung „Bilanzfälschung bei Wirecard“ im Juni überall zu lesen war. Meine waren: „Das ist doch ein schlechter Scherz, oder?“. Wie konnte es dazu kommen, dass ein DAX-Unternehmen so eine Luftblase erzeugen konnte und jeder darauf reinfiel? Die Mitarbeiter, die Wirtschaftsprüfer bei E&Y, die BaFin, führende Politiker und natürlich sehr viele Anleger.
Der abenteuerliche Weg von der kleinen Porno- und Glücksspielbude zum großen Dax-Konzern war letztendlich doch nur ein betrügerisches Märchen ohne Happy End. Wirecard hat 1,9 Milliarden Euro auf philippinischen Treuhandkonten verbucht, die gar nicht existierten. Um das machen zu können, wurde ein aufwendiger systematischer Betrug über viele Länder betrieben.
Warum eine renommierte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft wie Ernst & Young das jahrelang nicht entdeckte, wieso Lobbyisten wie Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sogar noch Ende 2019 bei der Bundesregierung für Wirecard werben konnte und warum die BaFin nichts unternahm, das sind Fragen, die in den nächsten Monaten geklärt werden müssen.
Kontrollmechanismen haben völlig versagt und da muss tatsächlich alles mal auf den Prüfstand gestellt werden, damit so etwas in der Form nicht noch einmal passieren kann. Die Entlassung von Deutschlands Oberprüfer Ralf Bose von der Aufsichtsbehörde Apas am 11. Dezember war hoffentlich erst der Anfang. Der Kollege hatte nämlich mit Insiderwissen im großen Stil im April Wirecard-Aktien gekauft und sie mit Gewinn im Mai wieder verkauft.
Bilanzbetrug ist nichts Neues
Solche umfassenden Betrügereien sind aber tatsächlich nichts Neues. Erst 2017 wurde bekannt, dass die Unternehmensgruppe Steinhoff, die damals im MDAX vertreten war, über acht Jahre 6,5 Milliarden Euro erfunden hatte. Wie bei Wirecard auch verpuffte nahezu der gesamte Börsenwert – aber in deutlich kleinerem Umfang.
Auch der italienische Lebensmittelhersteller Parmalat erfand Anfang des Jahrtausends Umsätze in Höhe von 14 Milliarden Euro und meldete 2003 Insolvenz an. Über 100.000 Anleger verloren damals ihr Geld mit Parmalat-Anleihen. Auch der amerikanische Energiekonzern Enron malte sich 11 Milliarden Euro Gewinn in die Bücher, die nicht da waren. Diese Beispiele werden mit Sicherheit auch nicht die letzten sein.
In China kommt es sogar regelmäßig vor, dass sich einige Unternehmen die Zahlen absichtlich schön bunt malt. Aktuelle Beispiele wie Luckin Coffee oder Joyy (ehemals YY) aus diesem Jahr zeigen, dass da Vorsicht geboten ist.
Als Anleger hat man keine großen Möglichkeiten, so etwas im Vorfeld rauszulesen. Schon gar nicht wenn Profis wie Wirtschaftsprüfergesellschaften nichts entdecken können oder wollen. Aber seine Antennen sollte man dennoch bei den Einzelaktien im Depot ausfahren. Solltest du Zweifel an einem Wert haben, wenn beispielsweise hartnäckige Gerüchte wie bei Wirecard auftauchen, solltest du den Wert verkaufen.
Das Buch zum Dokumentationsfilm von ARD und Sky
Bisher habe ich immer nur die zahlreichen Zeitungsartikel über Wirecard verfolgt. Im November bekam ich vom Finanzbuch Verlag aber noch das Buch „Die Wirecard-Story: Die Geschichte einer Milliarden-Lüge“ zugeschickt. Wenn ich ehrlich bin, ist der gesamte Fall noch viel erschreckender als vorher gedacht. Denn das Kartenhaus von Wirecard stand schon öfter vor dem Zusammenfall.
Märchenonkel und Wirecard-Vorstand Markus Braun und sein Puppenspieler Jan Marsalek schafften es mit Hilfe von Lügen, Bedrohung, Vertuschung und andere Maßnahmen sogar bis in den DAX. Da wurde es aber immer schwieriger, alles so auszubalancieren, dass das wackelige Gebilde nicht zusammenkracht. Es kamen immer mehr hartnäckige Gerüchte über Bilanzbetrug zum Vorschein, die dafür sorgten, dass der Aktienkurs von Wirecard immer wieder einbrach.
Trotzdem gab es zu dem Zeitpunkt noch viele Jünger, die das Unternehmen immer wieder stark und unterbewertet beschrieben haben – auch in der Finanzbloggerszene. Horrende Verluste von vielen Anlegern waren die schmerzhafte Folge. Dazu muss man aber auch sagen, dass ein Betrug in dem Ausmaß auf Basis von so vielen Lügen im Vorfeld schwer zu glauben war. Einen abenteuerlichen Überblick über den Beginn von Lug und Betrug liefert nun das Buch.
Wer sind die Autoren Melanie Bergermann und Volker ter Haseborg?
Die Geschichte der Milliarden-Lüge erzählen Melanie Bergermann und Volker ter Haseborg, zwei Journalisten der WirtschaftsWoche, die sich schon in der Vergangenheit verstärkt mit Wirecard beschäftigten. Die beiden verstehen ihr Handwerk und haben wirklich ein gut zu lesendes und interessantes Sachbuch mit Krimi- und Magazin-Charme geschrieben, das nicht langweilig wird und schnell gelesen ist. Das ist eine Kunst für sich, die wahrlich nicht jedem Buchautor gelingt.
Sie starten die Story im Jahr 2000 mit den schmuddeligen Anfängen im Sex-Bereich, die quasi die Grundlage für die Gründung von Wirecard bildeten. Damals hießen sie noch anders, zockten aber schon arglose Internetnutzer mit teuren Dialern ab. Die Grenzen des Erlaubten überschritten Braun und Marsalek in den Folgejahren immer mal wieder. Damals interessierte das scheinbar aber kaum einen. Das änderte sich erst als Wirecard immer größer wurde und vermehrt an der Börse gehandelt wurde.
Für die insgesamt 17 Kapitel interviewten die beiden Autoren sehr viele Wegbegleiter von Wirecard, die das Buch dann auch mit Leben füllen. Gerade das macht das Buch so interessant. Viele dieser Wegbegleiter tauchen in den Medien gar nicht auf, haben aber erstaunlich viel zu erzählen. Das Spektrum reicht vom PR-Berater und Feuerlöscher Martin Osterkamp (fiktiver Name) über Wirecard-Kritiker eines Hedgefonds aus London bis hin zu ehemaligen Mitarbeitern.
Ganz zu Ende ist die Story aber noch nicht, denn Jan Marsalek befindet sich immer noch auf der Flucht. Er ist wahrscheinlich – neben Braun, der aber ausnahmsweise mal schweigt – der Einzige, der noch Licht in die dunklen Ecken der Geschichte bringen kann.
Fazit zur Geschichte einer Milliarden-Lüge
Die Mischung aus Sachbuch, Krimi und Magazinartikel macht Spaß und der Inhalt erschreckt beim Lesen. Einen richtigen Nutzwert für den Leser bietet das Buch nicht. Das will es aber auch gar nicht, sondern es soll die Geschichte von der Milliarden-Lüge so nah wie möglich erzählen und in erster Linie unterhalten. Genau das tut das Buch auch.
Wer für den Lockdown an Weihnachten und Neujahr noch gute Unterhaltung benötigt, der wird bei „Die Wirecard-Story“ fündig. Das Buch gibt es als Hardcover und als E-Book.
- ter Haseborg, Volker (Autor)
Am Ende bleibt aber noch eine Frage offen: Warum haben eigentlich englische Journalisten der Financial Times einen so wichtigen Beitrag geleistet, dass der Betrug aufgedeckt wurde und keine deutschen? Und das gegen alle Widerstände. Sie wurden sogar von Wirecard auf Schadensersatz verklagt und die deutsche BaFin zeigte auch noch die Redakteure der Financial Times an.
Die deutsche Seite hat sich im gesamten Fall wirklich nicht mit Ruhm bekleckert. Und das sogar hoch bis zum deutschen Finanzminister Olaf Scholz. Immer wieder wird da vom Schutz eines deutschen Top-30-Unternehmens geschrieben. Da waren wohl Angst und Respekt ein sehr wichtiger Faktor. Hinterher sind nun alle schlauer.
Uns Deutschen bleibt am Ende nur die Rolle der Geschichtenerzähler. Passt zwar zum Volk der Dichter und Denker, ist im internationalen Vergleich aber mal wieder viel zu wenig. Der Märchenonkel Markus Braun und sein nicht minder erfinderischer Puppenspieler Jan Marsalek sind übrigens Österreicher und kreative Ausgestalter der abenteuerlichen Geschichte – nicht die Erzähler. Auch eine Leistung, wenngleich es am Ende keine ruhmreiche mit Happy-End war.
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